Brisant. Brisant.
Das ist ja alles nicht erledigt. Da gab es 1970 an der Uni Heidelberg einen Dr. Wolfgang Huber, der Medizin und Philosophie studiert hatte und der – im Schwunge der 68er Bewegung – neue Wege in der Psychiatrie suchte, und dabei den Philosophen Hegel einsetzte (welcher einem abhörenden Verfasssungsschützer Kopfweh verursachte, wie dieser heute lachend gesteht).
Raus aus den Irrenanstalten, weg von der grundsätzlichen Situation des Patienten als eines Gefangenen hin zu einer partnerschaftlichen Beziehung. Dies wurde modellhaft im sozialistischen Patientenkollektiv SPK ausprobiert, ein vielversprechender und bisherige Hierarchien in der Psychiatrie in Frage stellender Ansatz.
Zu revolutionär wie sich herausstellte. Das SPK hatte ein Gebäude in Heidelberg besetzt. Dieses lag direkt der Polizei gegenüber (aktive gegenseitige Beobachtung). Es kam allerdings zu einer Vermenung politischer Aktivitäten und revolutionär- psychiatrischer Ansätze. Es scheint, dass der Innere Kreis der SPK an der Entstehung der RAF nicht unbeteiligt war, der Umwandlung des studentischen Protestes von Sit-In’s, Teach-In-’s, Hausbesetzungen und den Straßendemos zum bewaffneten Kampf.
Eine unselige Allianz. Die schließlich dazu führte, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde. Razzien, Verhaftungen, Prozesse speziell gegen Wolfgang Huber und seine Frau. Diese endeten mit langjährigen Haftstrafen und Aberkennung der Approbation. Seine Frau sei 2013 gestorben. Wolfgang Huber scheint noch zu leben, unbekannten Aufenthaltes. Ober er seine Forschung weiterbetreibt? Ob er Bücher schreibt?
Das ist in Kürze das Bild, was sich in diesem sorgfältig recherchierten und zusammengefügten Film von Gerd Koske ergibt. Man muss sich zuerst dran gewöhnen, dass er seine Interviewpartner, die er heute aufsucht, alles Akteure von damals rund um das SPK, nie mit diesen Hinweisschildern, die Name und Beruf angeben, versieht. Man muss sich also darauf konzentrieren, was Sache ist, was diese Leute sagen. Es sind ehemalige Polizisten, SPK-Mitglieder, RAF-Mitglieder, Patienten, Journalisten, Gefängnismitarbeiter, Anwälte, Richter. Dazu Ausschnitte aus Originalprotokollen, Zeitungstexten, Flugblättern, Tonmitschnitten sowie Bildmaterial: Film, Fotos und Dias.
Brisant, brisant ist auch ein Besuch in der JVA Stuttgart. Beim Hofgang und mit Blick auf die Zellenwaben schallen laute Männerstimmen über den Hof, ein Radau wie in einem außer Rand und Band geratenen Zoo. Die Gefangenen rütteln an den Fenstern zum Hof. Sie haben das Filmteam entdeckt, ein Lärm wie aus Urtiefen und „Allahu Akbar“ mittendrin. Menschen wegsperren, hm, saust einem der Gedanke durch den Kopf, hm, moderner Strafvollzug? Wie viele Menschen sitzen allein wegen Schwarzfahrens hinter Gittern?
Brisant, brisant ist der Film auch hinsichtlich eines aktuellen Gesetzesentwurfes in Bayern, laut dem psychisch Kranke wie Strafgefangene behandelt werden sollen, zu lesen beispielsweise bei ze.tt.
Es geht im Film von Gerd Koske um Argumente und Dokumente. Originaltöne von damals spielt er ein, dabei sind Wiedergabegeräte aus jener Zeit zu sehen oder ein leerer Hörsal. Die Studenten wollten die Welt verändern. Sie wollten sie verbessern. Wenn auch sehr pauschal. Schuld an den untragbaren Zuständen (wozu auch unaufgearbeitete Nazizeit sowie Kader von damals, die ungehindert weiter auf Positionen waren, gehörte) war pauschal die Gesellschaft, auch schuld für die Krankheit der Menschen.
Sind wir heute weiter in der Auseinandersetzung? Was macht die junge, wache Generation? Ist die zufrieden mit dem, was sie vorfindet? Sieht sie vielfältigere Chancen im Gegensatz zur Jugend der 70er? Es gibt immer noch Gefängnisse und geschlossene, psychiatrische Anstalten. Lässt die junge Generation ihre Energie im Internet ab? Oder findet sie alles paradiesisch? Dabei sei der grundsätzlich solidarische Ansatz von damals heute nicht mehr da.
„Das System hat uns krank gemacht: geben wir dem kranken System den Todesstoß!“ SPK 1970.
„Mit Leuten, die interniert sind, kann es kein therapeutisches Verhältnis geben; nur Machtverhältnisse.“
„Viel gute Arbeit, viel Intelligenz und überbordender Zeitgeist, schade dass sie die Klinik nicht mehr hinkriegten; dafür kriegten alle ihre Rechnung auf ihre Art, alle.“