Der Deutsche Filmpreis

Heute Abend wird wieder mit großem Gehabe der Deutsche Filmpreis verliehen, der eigentlich eine Vorspiegelung falscher Tatsachen ist, denn er ist lediglich der Filmpreis des Vereins Deutsche Filmakademie e.V. Das ist ein Zusammenschluss deutscher Filmschaffender der verschiedensten Gewerke, die nach einem nicht öffentlich einsehbaren Empfehlungssystem in den Verein aufgenommen worden sind. Korrekt müsste es heißen „Filmpreis des Vereins Deutsche Filmakademie e.V.“. Wobei die Vorspielgelung falscher Tatsachen dem Wesen des Kinos und des Filmes durchaus nicht fremd ist. Der Schein des Staatspreises – der also gesamtgesellschaftliche Relevanz beansprucht – wird noch erhöht durch die Tatsache, dass die deutsche Regierung in der Person der Kulturstaatsministerin Frau Monika Grütters 3 Millionen Euro Steuergelder für den Preis spendiert und durch ihre Anwesenheit bei der Verleihung diesen falschen Schein noch mehr befördert. Mitzureden hat sie bei der Entscheidung nicht. Diese beruht auf einem nicht richtig durchschaubaren, mehrstufigen Verfahren und die anonyme Schlussabstimmung liegt bei der Masse der Vereinsmitglieder, wobei viele davon vermutlich gar nicht die Zeit haben, alle in Frage kommenden Filme auch vergleichend anzuschauen. Sie müssen mit ihrer Stimmabgabe ja auch keine Begründung liefern. Und auch die Akademie schuldet weder dem Staat noch der Öffentlichkeit ein Begründung, warum jetzt möglicherweise 3 Tage in Quiberon (ein gehypter Kandidat) absahnt und Western nicht oder umgekehrt oder warum Transit von Christian Petzold gar nicht erst nominiert ist. Der Öffentlichkeit bleibt lediglich Kaffeesatzleserei (Kaffeesatzleserei als Kulturbegründung – wär ja nicht schlecht, da könnten die öffentlichen Gelder gleich gestrichen werden); das erspart eine inhaltliche Auseinandersetzung. Diese scheint vom Verein Deutsche Filmakademie e.V. offensichtlich auch gar nicht erwünscht. Bloss nicht andere gesellschaftliche Gruppierungen in einen Diskurs über die deutsche Filmkultur hineinzeihen. Die hat sich mit dem neulich im Netz aufgefischten Satz „Produzenten-Roundtable: Kein Mensch will schlechte Filme sehen“ abgesichert. Denn wenn niemand schlechte Filme sehen will, dann wird auch niemand schlechte Filme herstellen. So die suggerierte Conclusio. Trotzdem sei die Frage erlaubt, warum denn so viele deutsche Filme kaum jemand sehen will? Selbst „3 Tage in Quiberon“, was von einem großen Star handelt, der die Herzen der Menschen weitherum erobert hat, stürzte nach einem vielversprechenden Arthouse-Start von 40’000 Zuschauern am ersten Wochenende auf gerade mal 10’000 Zuschauer am zweiten Wochenende ab. Von einem Rumsprecherfolg dürfte da eher nicht gesprochen werden. Wobei der Film mehr als nur wohlwollend besprochen worden ist (allerdings nicht von stefe). Ist der Film das Beispiel für ein Kino, was niemand sehen will? Ist diese Falschheit am Deutschen Filmpreis und die Verweigerung von öffentlicher Diskussion über die Begründung, warum just dieser oder jener Film es verdient, gesamtdeutsche Steuergelder als Belohnung zu erhalten, vielleicht mit ein Symptom dafür? Der Beweis dafür, wie völlig neben der Kappe die hochsubventionierte, am Dauertropf hängende und somit künstlich am Leben erhaltene, deutsche Filmkultur ist, eine sich abschottende Filmkultur, die die öffentliche Diskussion scheut wie der Teufel das Weihwasser (aus purer Panik vor Einbußen bei den Geldstörmen)? Hier geht es zu einem Kommentar von stefe zu diesem Thema.

Kommentar zu den Reviews vom 26. April 2018

Sich nicht unterbuttern lassen. Schon gar nicht Joe, Spezialist für Entführungsopfer. Schon gar nicht von der Ambition zur Weltherrschaft. Schon gar nicht Steinzeitfußballer von Bronzefußballern. Mit Veduten sich ein Denkmal setzen. Nicht von den Auffangnetzen für Flüchtlinge. Nicht von Hypotheken des Frauseins. Nicht von der Umweltzerstörung durch den Menschen. Nicht von trostloser Architektur. Und der Geist des Rembetiko steht eh dafür. Auf DVD werden Banlieu-Kinder an die musikalische Hochkultur herangeführt. Am Fernsehen wurden Zwangsgebührengelder gegrillt.

Kino
A BEAUTIFUL DAY
Bilder von Bösem und Schmerz zu einem kunstvollen Bouquet zusammengesteckt.

AVENGERS: INFINITY WAR
Schlachtfeld Leinwand wegen der Gier nach Weltherrschaft.

EARLY MAN – STEINZEIT BEREIT
Der Fußball als Geschenk des Kosmos.

CANALETTO UND DIE KUNST VON VENEDIG
Und wenn das Geschäft in Venedig nicht läuft, kann Canaletto auch in England malen.

ELDORADO
Flüchtlinge halten enorme Auffangapparate in Bewegung.

MADAME AURORA UND DER DUFT VON FRÜHLING
Pfeif auf die Menopause!

GRAIN – WEIZEN
Biblische Figuren bewegen sich in bildmächtigem Schwarz/Weiß durch eine dystopische Zukunftswelt.

VOM BAUEN DER ZUKUNFT – 100 JAHRE BAUHAUS
Das Bauhaus und einige Folgen.

DJAM
Rembetiko als Vorwand für Mösenblicke.

DVD
LA MELODIE – DER KLANG VON PARIS
Zugang zu klassischer Musik zu finden, ist nicht eine Frage der Herkunft, sondern von Musikpädagogik.

TV
MÜNCHEN GRILL
Kabarettisten und ein Pfaff plündern Zwangsgebührenhaufen.

Avengers: Infinity War

Schlachtfeld Leinwand.

Wenn es um die Welt- oder Universalherrschaft geht, fliegen nicht nur die Fetzen, fetzen sich die Körper, hinterlassen ein Schlachtfeld an Effekten, die so rasant sind, dass sie sich selber überrollen, überholen und große Einzelhelden müssen sich zusammenschließen, um gegen den Überhelden Thanos (Josh Brolin) Front oder Phalanx zu machen, muss das halbe Marvel-Universum aufgeboten werden, sogar die Tochter von Thanos, Gamora (Zoe Saldana) nebst Nebula (Karen Gillan), Wanda (Elizabeth Olsen), Spider Man (Tom Holland), Peter Quill (Chris Pratt), Steve Rogers (Chris Evans), Thor (Chris Hemsworth), Tony Stark (Robert Downey Jr., Loki (Tom Hiddleston).

Der Preis für die Allmacht ist hoch (frag nach bei den Allmachtgierigen hiernieden in Russland, der Türkei, in China oder Syrien). Die Leinwand wird zum Schlachtfeld nicht nur der Effekte, sondern auch artistischer Überlebensübungen (immer durch die Luft an Seilen oder auch nicht), Effektenspektakel, gibt Raum für beachtlichen Mummenschanz an Kostüm von Monstern und Riesen und anderen Super-Helden und Zaubereien aller Art von Verwandlungen mit einer Geste, Herbeibeamen von Gegenständen mit einer Geste, Gestenmagie, Feuerkreise, Hologramme und viel, viel An-die-Wäsche gehen im Sinne von hautnaher kämpferischer Auseinandersetzung.

Es braucht viele Spielorte allüberall auf der Welt und ins All verteilt, mit Plate-Unity-Material aus Eis- und Wüstengebieten wie Alaska oder Chile; in New York, Nidavellur, Vormir und Wakanda.

Und dann die faszinierenden, blitzschnellen Transformationen der Figuren und die auf die Schippe genommen, indem sie einmal partout nicht gelingen will.

Die Regisseure Anthony und Joe Russo haben zwischen all den Schlachtereien und Kämpfereien Dialogszenen klassisch statisch inszeniert nach dem Prinzip Stehparty auf der Bühne und Pointe – Lacher – Pointe – Lacher (was ist ein ‚man‘, was ist ein ‚Dude‘ oder ‚what Master do you serve?“ „Jesus“ – oder eine standardkomische Situation: ein Paar unterhält sich vertraulich und bemerkt den Beobachter nicht) und das Englisch hört sich momentweise nach Shakespeare-Englisch an.

Das Drehbuch stammt von Chrstiopher Markus, Stephen McFeely + 9. Es wird viel verhandelt, es geht um Glaubwürdigkeit oder um Männlichkeit, es gibt Marvel-relevante Pointen und die Totalherrschaft kann der erhalten, der sechs Steine, die zur Zeit vestreut sind, sammelt, und es geht darum, wie das zu verhindern sei. Es geht immer ums Überleben – und ums Vormachen – wie im wahren Leben auch.

Canaletto und die Kunst von Venedig

Ein Juwel an Kunstsammlung.
(Mit freundlicher Genehmigung of Her Britannic Majesty the Queen.)

20′ 000 Pfund hat der Britische König Georg III 1762 für die Kunst- und Büchersammlung von Consul Joseph Smith bezahlt. Heute dürfte sie von unschätzbarem Wert sein.

Smith war ein englischer Geschäftsmann, Banker, Import-Export, und dann auch britischer Konsul in Venedig. Er war Kunstsammler, Mäzen, gewiefter Kunsthändler und baute sich am Canal Grande ein repräsentatives Haus.

Es war die Zeit, als die Bildungsreisen junger britischer Adeliger in den Süden im Schwang waren. Und da das venezianische Bürgertum und der Adel sich den Touristen verschlossen, waren Reisende überglücklich, den Palazzo des Consul betreten zu können.

Dort sprachen sie die Veduten von den Wänden herab an, besonders die exponiert gehängte 12-teilige Serie, die den ganzen Canal Grande abbildete. Die Weltreisenden wollten solche Bilder als Souvenir nach England bringen. Das ergab Folgeaufträge und brachte die Druckgraphik zum Erblühen.

Canalettos Veduten überzeugten mit einer realistischen Lebendigkeit. Wobei es rein artistische Kompositionen aus seinem Atelier waren: seine Venediginterpretation, stilbildend. Das belegt sein einzig erhaltenes Skizzenbuch und dass er eben nicht mit der Camera Obscura, also fotografisch gearbeitet habe.

Venedig hat die Briten nicht nur aus pittoresken Gründen und wegen seiner Bauweise fasziniert. Die tiefere Gemeinsamkeit dürfte darin bestanden haben, dass auch die Briten eine Welthandelsnation waren, während Venedig für Europa eine entscheidende Hafenstadt war. Auch die politische Entwicklung im England des 16. und 17. Jahrhunderts führte zu einer Faszination durch Venedig, das immer eine selbstbewusste, unabhängige Stadt war.

Ausgehend von der Gemäldesammlung „Queen’s Gallery“ im Buckingham Palast, der größten Canaletto-Sammlung der Welt, erzählt David Bickerstaff, der mit Phil Grabsky auch das Drehbuch geschrieben hat, die Geschichte dieser Bilder, unterlegt sie mit klassischer Musik und wiegt den Zuschauer in einer opulenten Gondel sich wähnend und wie auf Zeitreise durch die Bilder und somit durch das Venedig von damals, unterschnitten mit Bildern vom heutigen Venedig und immer wieder detail- und kenntnisreich kunst- und politgeschichtlich kommentiert von kundigen Fachleuten, Konservatoren, Historikern, Professoren, Restauratoren, Kuratoren, Kunsthändlern.

Es empfiehlt sich, den Film auf großer Leinwand zu schauen, allein wegen der Figurinen, die Venedig beleben und die präzise Studien sind.

Vom Bauen der Zukunft – 100 Jahre Bauhaus

Das Bauhaus und einige Folgen.

Niels Bolbrinker und Thomas Tielsch nehmen uns mit auf einen lockeren Spaziergang durch Teilaspekte der Geschichte und einige Folgen des berühmten Bauhauses.

Sie gehen zurück ins ursprüngliche Bauhaus, das Walter Gropius als Kunstschule in Weimar gegründet hat und spannen den Bogen über Dessau, die Black Mountain-Schule in den USA bis zum heutigen Urban Thinktank in der Schweiz, der von den lateinamerikanischen Favelas/ Barrios einerseits lernen will, andererseits diese in Großstäden wie Caracas oder Medellin mit Rolltreppen und Seilbahnen an die übrige Stadt anschließen und damit die Lebensqualität steigern oder mit Vertical Gyms soziale Treffpunkte schaffen will mit dem positiven Nebeneffekt eines Rückganges der Kriminalität.

Als negative Folge des Bauhauses wird die Charta von Athen angeführt mit desaströsen Folgen wie Satellitenstädten, hierzu gibt es Beispiele aus Marseille von Le Corbusier, obwohl dieser doch den Menschen zum Maßstab der Moduleinheit genommen habe.

Vom Bauhaus selbst gibt es von der Gründung in Weimar an viel Archivmaterial und ein heutiger Mitarbeiter rekonstruiert, wie dort mit Farben umgegangen worden ist, wie der Raum erfahrbar gemacht werden sollte (Wahrnehmung räumlich wirksamer Phänomene; „der lernende Körper“), wie die Studenten einen Zugang zu Materialien finden sollten; wie das auch in Tanz, Bewegung und Performance in schlemmerhaften Kostümen ausprobiert worden ist, ihre Utopien und Visionen – nach den Schrecken des Ersten Weltkrieges (1919) – der neue Mensch, der Spirit, aber auch Ansätze von spirituellen und esoterischen Konzepten; bunte Themenfeste, so dass das Bauhaus ein veritabler Fremdkörper in Weimar geworden ist.

Es erfolgte der Umzug nach Dessau in einen mustergültigen Bau, der als ein Zusammenwirken unterschiedlicher Kreativer als interdisziplinäres Gesamtkunstwerk entstanden ist. Architektur nach dem Motto Funktionalität und industrielle Produktion.

Während der Nazizeit Emigration, Gründung des Black Mountain College. Davon erzählen zwei betagte New Yorker Künstlerinnen. Die Figur Mies-van-der-Rohe verliert sich dann allerdings im Film.

Endpunkt dieses bauhausorientierten Spazierganges durch Teile der Architekturgeschichte bildet die Vision einer auf mehreren Etagen verdichteten City, der Fun-City, das erinnert an die Stadt aus Luc Bessons visionärem Film „Das fünfte Element“.

Madame Aurora und der Duft von Frühling

Jenseits von allem Intellekt sind Fruchtbarkeit und Fortpflanzung kostbare Güter, bei den Frauen allerdings endlich, mit etwa 50 ist die Zahl der weiblichen Oocyten erschöpft. Das ist die Menopause, auch Wechseljahre genannt, und mit Wallungen einhergehend. Mithin ist es ein herber Verlust, ein definitiver Verlust. Wie umgehen damit?

Das schildert Blandine Lenoir nach dem Drehbuch von Anne-Francoise-Brillot, Benjamin, Dupas + 8 auf höchst unterhaltsame Weise, so dass mehr ein Familien-, denn ein Problemfilm daraus wird.

Agnes Jaoui als Aurore Tabort, ledig: Plou, ist nicht der Typ, sich durch so einen Verlust das Leben versauen zu lassen. Sie ist eine kämpferische Matrone. Denn nicht nur dieses Teil des weiblichen Schicksals betrifft sie aktuell, auch jenes der Jobsituation. Sie hat einen großen Teil ihres Arbeitslebens für ihren inzwischen getrennt aber nicht geschieden lebenden Ehemann Nanar (Philippe Rebbot) gearbeitet, ohne Reverenzen und Zeugnisse selbstverständlich und mit all den daraus resultierenden sozialen Benachteiligungen.

Wegen unanständiger Behandlung durch ihren neuen Chef (er gibt seinen Bedienungen Fantasienamen, sie nennt er nur Samantha) schmeißt sie den Bar-Job hin und steht nun da.

Zudem erklärt ihre Tochter Marina (Sarah Suco), dass sie schwanger ist. Statt sich zu freuen über das Weiterfunktionieren der Fruchtbarkeit in der eigenen Familie, reagiert Aurore entsetzt, wie üblich.

Da es sich eindeutig um ein Feel-Good-Movie handelt, wird sich das ändern. Die Jobsuche gestaltet sich schwierig. Aurores Freundin Mano (Pascale Arbillot) unterstützt sie moralisch, bereitet ihr neue Probleme durch Zufallsbegegnungen, die sich mit ihr ergeben.

Komplikationen über Komplikationen. Und immer die Liebessehnsucht hinter allem und die Wallungen dazwischen und dann auch noch die automatischen Türen, deren Lichtschranken bei Aurore nie richtig funktionieren oder das Problem des Sprechens der Menschen, wunderbar beobachtet, das schnell mal in lediglich gurgelnde Geräusche abrutschen kann, wenn sie sich gerade die Zähne putzen und sprechen wollen, oder wenn sie Hähnchschenkel verzehren und dabei was sagen wollen. Quitschvergnügliche Tonspur.

Aber die Stadt liegt am Meer, der Familien- und Liebessinn lässt manche Menschen enttäuscht zurück, bringt aber den Protagonistinnen auch unerwartete Erlebnisse. Ein Film, wie er nur auf dem fruchtbaren Boden der französischen Filmkultur gedeihen kann mit dieser Leichtigkeit und Unbeschwertheit und dem Können, was diese Filmmenschen in Fleisch und Blut haben, um so frisch von der Leber weg aus einem Leben wie „Ich und Du“ zu erzählen. Der wesentliche Song auf der Tonspur: I aint no shoes, der gelesen werden kann als „I ain’t no menopause“.

Grain – Weizen

Weizen, hier eine beliebige Stelle zu dem Wort aus Google rausgepickt, ist ein wichtiges Wort in der Bibel. Die Voraussetzung für das Brot, Unser täglich Brot gib uns heute.

Den Titel des Presseheftes ziert ein Bild aus diesem Film von Semih Kaplanoglu, der mit Leyla Ipekci auch das Drehbuch geschrieben hat, ein bekleideter Mann in angedeuteter Uterusstellung im Stroh liegend.

Der Film ist ein vielseitig gefördertes Projekt, als Produktionsländer stehen die Türkei, Deutschland, Frankreich, Schweden und Katar, aus Deutschland sind ZDF und arte beteiligt.

Der Film ist in monumentalistischem Breitformat und in Schwarz-Weiß gedreht, da werden selbst Ährenfelder aus der Nähe besehen zu Monumenten.

Kaplanoglu zäumt die Geschichte vom Brot von hinten her auf, aus der Perspektive einer dystopischen Zukunft, in der der Mensch dank Monsanto und Konsorten die Böden kaputt und unfruchtbar gemacht hat. Es wird in riesigen Laboratorien geforscht und genetisch manipuliert, was das Zeugs hält. Aber es treten Missernten ein in einer geschützten Zone.

Der Wissenschaftler Erol Erin (Jean-Marc Barr) macht sich mit Andrei (Grigoriy Dobrygin) auf die Suche nach dem Genetiker Genil Akman (Ermin Bravo). Denn der hat Studien, die er unter Verschluss hält, und die das Problem mit den Missernten beheben könnten.

Dazu müssen Erol und Andrei allerdings einen magnetischen Minenstreifen, der berühmte Todesstreifen wie die Berliner Mauer als Ideengeber haben dürfte, überqueren. Dabei hilft ihnen Alice (Cristina Flutur).

Sie sollen 5 Tage lang nach dem Forscher suchen. Sie durchqueren dabei Wüstenlandschaften. Erinnert alles an Bilder aus der Bibel. Jesus in der Wüste. Jesus und ein Jünger unterwegs. Sie sind einfach gekleidet, gepflegt sonntäglich mit Wollschal, Jacket, Hemd und Strickpullover. Sie überqueren einen See. Auch das ein biblisches Bild.

Irgendwann lässt Erol Andrei ohne Worte zurück und schwimmt dem Ruderboot von Cemil, den sie inzwischen entdeckt haben, hinterher. Nun bestreiten diese beiden Männer, biblische Figuren im Sinne der biblischen abendländischen Ikonographie, den Hauptteil des Filmes. Sie siezen sich.

Biblische Bildassoziationen. Das Kind im Kästchen (nicht im Weidekörbchen). Statt des brennenden Dornbusches für Moses gibt es hier einen brennenden Baum für Cemil. Ab und an streift Cemils Hand Erol. Wie Christus einen Jünger.

Die Settings, Wüstenlandschaften oder Industrieanlagen, die Kaplanoglu gefunden hat, sind alle so perfekt in Szene gesetzt, als seien sie eigens für diesen Film geschaffen worden. Das ist optisch eindrücklich.

Was das Jüngergetue, diese biblische Assoziiererei in Verbindung mit der Umweltzerstörung und monumentalistischen Symbolismus aber soll, erschließt sich mir nicht. Mich würde interessieren, was die vielen Förderer des Projektes so reizvoll daran fanden oder ob sich vom Treatment her das alles ganz anders gelesen hat.

Der Film äußert mit starkem Zugriff eitlen Kunstwillen, hinter dem der Inhalt weit zurückbleibt. So wirkt er stilistisch doktrinär, zumindest dogmatisch. Und die Postpro schafft wunderbare Stimmungen bei Regen, bei Nebeln, Lichtspiele über Landschaft.

Sie scheinen denjenigen nicht gefunden zu haben, den sie suchten“.

Eldorado

Auffangnetze.

Markus Imhoof (More than Honey) nimmt in seiner gründlichen Schweizer Art die Auffangnetze unter die Lupe, die von den verschiedensten Organisationen und staatlichen Stellen für Flüchtlinge, die übers Mittelmeer nach Italien gelangen wollen, aufgespannt sind. Die aber oft auch Aussonderungsnetze sind.

Imhoofs Ansatz ist ein ganz persönlicher. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten seine Eltern ein Mädchen aus dem ausgebombten Mailand aufgenommen. Sie war älter als er. Während des ganzen Filmes wird ihm Giulia, so hieß sie, nicht aus dem Kopf gehen: Fotos, Briefe, die nach ihrer Rückkehr zu ihrer Mutter geschrieben wurden, ihr früher Tod 1950 bald nach ihrer Rückkehr. Und das schlechte Gewissen deswegen.

Imhoof zeigt, dass die Auffangnetze für Flüchtlinge aus einem Wust an Verfahren, Befragungen, Untersuchungen, Vorschriften, Verboten bestehen. Das war auch nach dem Krieg schon so.

Imhoof versucht nicht, sich dem Thema mit stilistischer Brillanz wie Fuocoammare – Seefeuer zu näheren, versucht nicht plakativ auf das Flüchtlingsthema aufmerksam zu machen. Da ist die Gerneruckel-Kamera von Peter Indergand davor.

Imhoofs Methode ist subversiv. Das Hinterhältige der europäischen Flüchtlingspolitik kommt im Nebensatz vor, im harmlos erscheinenden Statement zum Ausdruck. Dass es eben eine Vorschrift sei, dass die Flüchtlinge ihre Unterkünfte nicht selbst sauber halten dürfen, dass sie nicht arbeiten dürfte, resp. nur schwarz und dann mit mafiösen Methoden ausgebeutet würden.

Die Offenheit eines Schweizer Entscheiders, er habe noch nie den Asylantrag eines Afrikaners positiv entschieden. Die Unterbringung von Flüchtlingen in Luftschutzbunkern als absoluter Selbstverständlichkeit.

Wer abgelehnt wird, hat in der Schweiz zwei Möglichkeiten: freiwillig zurückzukehren und dafür 3000 Franken Startkapital zum Aufbau einer eigenen Existenz zu bekommen. Dafür kaufte sich einer zwei Kühe. Er wird die Milch in Afrika aber nicht verkaufen und davon leben können, weil die aus der EU importierte Subventionsmilch billiger ist.

Der Film fängt mit ausgiebigen Schilderungen, Frontberichterstattung, bei der durchorganisierten Seerettung von Flüchtlingen aus dem Meer und aus Booten an. Ein wie geölt laufender Apparat. Dabei die Info, dass auf dem italienischen Armeeschiff, das zum dem Zeitpunkt 1800 Flüchtlinge aufgenommen hat, ein Teil davon auf dem Heliplatz an Deck kampierte. Bei einem Sturm sei es zur Meuterei gekommen und die Flüchtlinge hätten nur mit Knüppeln im Zaum gehalten werden können. Das durfte nicht gefilmt werden.

Später fließt beiläufig die Info über den Kurswechsel der EU in der Flüchtlingspolitik in den Film ein. Dass diese jetzt mit Warlords und Schleppern aus Libyen zusammenarbeitet, um die Flüchtenden zurückzuschicken. Das sei für die Schlepper das bessere Geschäft.

Dantes göttliche Komödie wird von einem italienischen Funktionär zitiert: in Afrika lebten diese Menschen in der Hölle, die Flucht sei das Inferno und in Europa glaubten sie das Paradies zu finden. Das Eldorado lässt Imhoof in der Titelsequenz als Lichtspiel auf einer goldenen Wäremefolie, wie sie den Geretteten umgelegt wird, aufleuchten, Scheingold – Goldschein.

Early Man – Steinzeit bereit

Dass Fußball eine archaische Angelegenheit ist und dass er aus England kommt, haben wir immer schon vermutet, bis zu diesem Animationsfilm von Nick Park (Shaun das Schaf), der mit Mark Burton und James Higginson auch das Drehbuch geschrieben hat.

Die wissen es exakter und stellen plausibel dar, wie der Fußball auf die Welt kam. Das war im Pleistozän! Aus dem Weltall rast eine glühende Kugel auf die Erde zu. Und wo schlägt sie mit einem Riesenkrater ein? Richtig, da wo heute Manchester liegt.

Die Steinzeitmenschen kriechen aus den Trümmern und dem Schutt hervor. Sie finden Reste der glühenden Kugel – Ja! Und erfinden den Fußball. Nicht nur das, sie dokumentieren das Spiel wie in einem Bildlexikon als steinzeitliche Wandmalerei.

Soweit die Ausgangslage der neuen Spielereien, Witzeleien, Jokereien, Streiche und Pennälerunterhaltungen, deren Frische sich die Briten bewahrt haben.

Sie machen einen Zeitsprung in eine eklektische Großreichs- und Ritterzeit, einen Mix verschiedenster Stilepochen. Eine Arena wird zentral. Einer der Steinzeitmenschen, Protagonist Dug, verirrt sich in dieses Großreich der Bronzezeit, wird illegal eingeschleppt, entdeckt.

Die Herrscher wollen das Steinzeitreich als Erzmine abbauen und die Steinzeitmenschen sollen wie Sklaven dort krüppeln. Dug kann dem bösen Herrscher Lord Nooth das Versprechen abtrotzen, dass wenn die Steinzeitmenschen das Fußballmatch gegen die Bronzespieler gewinnen, sie ihre Freiheit und ihr Tal zurückerhalten.

Das ist ein bewährtes Rezept für einen unterhaltsamen Film, die apriorischen Looser hart trainieren, sie aussichtslos antreten lassen, die Society sich empören lassen, dass sie einige Anfangstreffer landen, die Sache auswegslos erscheinen lassen mit einem illegalen Schiedsrichterwechsel, um schließlich mit Witz, Glück, Fantasie und Mobilisierung im letzten Rest das Spiel für sich zu entscheiden.

Das ist versierte Unterhaltung fernab der Zeitenläufte, das lässt verstehen, warum Manchester ein Mekka des Fußballs ist, unbestechlich noch dazu siehe auch die Storys in dem Film über die Fußballhymne You’ll never walk alone – ups, dort geht es um Liverpool.

Djam

Rembetiko ist eine an die Seele gehende Musik aus tiefsten Tiefen, sie entstand von Menschen, die Flucht und Erniedrigung hinter sich hatten, die sich aber nicht haben kleinkriegen lassen.

Ob Tony Gatlif, Autor und Regisseur dieses Filmes, den Rembetiko in seiner ganzen Dimension begriffen hat, sei dahingestellt. Er benutzt ihn als Aufhänger, um für die Griechen der Finanzkirse den Stinkefinger zu zeigen; um andererseits dem deutschen Finanzminister im Nachhinein Recht zu geben mit seiner schäbigen Behandlung Griechenlands, denn die Griechen pfeifen auf die Folgen, auf Pfändung und Enteignung: sie haben den Rembetiko. Das mag noch angehen.

Schwieriger wird es, zu kapieren, weshalb der Rembetiko dazu herhalten soll, dass die Protagonistin Djam (Daphné Patakia) ständig ohne Höschen rumrennen, sich ausziehen, sich an der Möse kratzen oder rasieren oder nackt musizieren soll auf einem Hotelzimmerbett. Da scheint doch ein Lüstlingselement des Regisseurs auf, das sich mehr als Selbstzweck, denn im Sinne des Rembetiko meldet.

Gatlif hat ein dünnes Storyboard emtwickelt, das er Bild für Bild abfilmt. Djam lebt auf Lesbos. Ihr Onkel Kakourgos (Simon Abkarian) besitzt ein Schiff, mit dem er Touristenfahrten anbietet. Eine eiserne Treibstange ist kaputt (ha, ha, Phallussymbol). Die soll Djam ihm in Istanbul ersetzen bei einem bestimmten Schmied, der die vorbildgetreu nachschmieden soll.

Für einen Musikfilm reicht so ein Vorwand allemal aus, um die Reise zum Anlass zu nehmen, immer wieder Rembetiko singen und spielen zu lassen.

In Istanbul hängt sich die Französin Avril (Maryne Cayon) an Djam. Avril möchte eigentlich an der syrischen Grenze in einem Flüchtlingslager helfen. Zusammen gehen sie auf dem Landweg zurück nach Griechenland. Roadmovie mit vielen Rembetiko- und Mösensituationen an leeren Bahnhöfen, über den Dächern von Istanbul, an Tankstellen, verlotterten Unterschlüpfen mit Muschigelaber oder Pissen auf Opas Grab, Taxifahrer und auch ein aus Wirtschaftsgründen verzweifelter Grieche, der sich gerade sein Grab schaufelt, so dass er aufrecht beerdigt werden kann (Wirtschaftskrise!) und dann noch die Rührgeschichte mit der verstorbenen Mutter.

Irgendwann kommt die Idee mit Skandinavien auf. Das wird dann vielleicht der nächste Film. Gatlif hat sich für ein fast quadratisches Bildformat entschieden, das behauptet zu seinen Gunsten, dass er nicht mit filmischer Großintention zugange ist.