1000 Arten Regen zu beschreiben

Tanzender Gullideckel.

Die Idee ist hübsch, Gefühlslagen über Regenwetterberichte zu charakterisieren, da könnte Poesie mitschwingen. Tut es nicht und eine Gestaltungsidee allein kann keine Drehbuchausarbeitung ersetzen, keine Geschichte. Es bräuchte als noch eine Geschichte, um die Idee zur Wirkung zu bringen. Diese fehlt in diesem vielseitig geförderten Film von Isabel Prahl nach dem Drehbuch von Karin Kaci (Anduni -Fremde Heimat).

Insofern ist leicht nachvollziehbar, dass ein tanzender Gullideckel im Regen wohl der einzige bleibt, der sich halbwegs amüsiert.

Die erfundenen Menschen und Szenen drehen sich um eine Leerstelle. Sie soll das japanische Phänomen Hikikomori illustrieren. Hierbei zieht ein Mensch sich, ein Jugendlicher vornehmlich, womöglich über Wochen von der Gesellschaft, von der Familie zurück, schließt sich in sein Zimmer ein. Das ist Mike.

Dass er eine Leerstelle bleibt, zeigen schon die Titel: Ewig lang und leinwandfett bleiben die Namen von Bjarne Mädel (Vater), Bibiana Beglau (Mutter) und Emma Badin (Tochter) dem Zuschauer überbedeutungsvoll aufs Auge gedrückt, auch in Disproportion zu den späteren Rollen, die vom Buch her fast nichts hergeben (wieso haben sie zugesagt, fragt man sich? Drehen auf Teufel komm raus? Halbschlaue Berater?).

Mike aber kommt in den Titeln gar nicht vor. Er hätte ja wenigstens als MIKE eine Erwähnung verdient. Um ihn dreht sich alles. Er gehört zum Vornherein nicht zur Familie. Ein schlimmer Fauxpas fürs Storytelling.

Die Schauspieler spielen sich redlich bemüht durch die kopfbürtigen Szenen, nicht einen Moment das Bild des abwesenden Mike evozierend. Aber gerade durch ihr Spiel müsste er, wenn er schon hinter verschlossener Tür agiert – die wird als erstes Bild groß auf die Leinwand gehievt: eine undurchdringliche Wand – müsste er Präsenz gewinnen, Anwesenheit durch Abwesenheit.

Aber welcher Schauspieler kann das schon spielen, welcher Drehbuchautor schon schreiben, welcher Regisseur das inszenieren – Anwesenheit durch Abwesenheit?

Vermutlich haben die guten Leute – bei allem Fleiß und aller Hingabe, denn sie selbst waren ja offenbar überzeugt von dem Buch – falsch geprobt, sich falsch präpariert. Statt dass sie den Boden für die Vor-der-Tür-Szenen gelegt hätten, indem sie, auch wenn das im Film nicht vorkommt, die Familie zu viert, intakt noch durchgelebt, erfühlt hätten. Dass für jeden Akteur jeden Moment die Abwesenheit von Mike spürbar wäre und somit auch für den Zuschauer. Dem ist nicht so.

Wir sehen Schauspieler vor eine toten Wand, vor einer verschlossenen Tür sich abmühen. Die Schauspieler machen alle Hirnerfindungen der Drehbuchautorin mit. Wenn es ein Workshop wäre, könnte man teilweise sogar sagen, sie erledigen die ihnen gestellten Aufgaben anständig, oder so gut, wie sie es schon in anderen Filmen gemacht haben. Nie aber schaffen sie es, als Vermittler einer Story Spannung zu erzeugen.

Die alte deutsche Krankheit des Themenfilmes. Die Macher entscheiden sich für ein an sich faszinierendes Thema oder Phänomen, hier das Hikikumori und wollen es dem geneigten Zuschauer mittels erfundener Personen und Szenen näher bringen.

Sie sollten aber besser erst eine Geschichte finden, in der sie das Thema unterbringen, womit es eine beiläufige Relevanz in einem Spannungszusammenhang gewinnen könnte.

Hier aber dreht sich alles um den leeren Kern des Themas, um den abwesenden Mike. Der schiebt zwar ab und an Zettel mit Regenwetterberichten unter der Tür durch; das wird schon vom Drehbuch her ins Leere laufen gelassen. Der Zuschauer wird Zeuge, wie eine wunderbare Idee unbearbeitet verödet. Die Schauspieler lesen ab und an einen Zettel. Das hat null Folgen, null Interpretations-, Assoziations- oder Erhellungseffekt. Nette Idee als Totgeburt auf der Leinwand.

Beispiele für einige dieser Kopfgeburten, die die Schauspieler darstellen müssen: Vater hat es mit einem Tracheotomie-Pflegefall zu tun, muss dem das Kommunizieren über die Augäpfel beibringen; Vater schlägt wie ein Gangster die Scheibe des Autos eines Freundes ein, um etwas zu klauen; Tochter patscht mit bloßer Hand in einen Kuchen, den die Mutter gemacht hat, beißt hinein und würgt das Gekaute in die Hand der Mutter; Mutter bandelt mit einem Freund ihres Sohnes Mike an, macht einen Ringkampf mit ihm, wäscht ihm die Haare; Tochter hat in einer Graufläche auf der Leinwand eine Deflorationsszene mit einem jungen Mann, der eben etwas ausgespuckt hat, sogleich küßt sie ihn; Tochter tanzt Rhythmusgymnastik; Vater liegt in einem Hotelzimmerbett, die Putze kommt mit dem Staubsauger, er verlangt ein Glas Wasser und kippt einen Teil davon auf das Nachttischchen – all das spielen die Schauspieler, als ob es Sinn ergäbe, abgebrüht und unbeteiligt.

Diese Szenen lassen nicht den dringenden Schluss zu, dass diese Filmemacherinnen vom Beobachten der Menschen ausgehen oder fürs Geschichtenerzählen und das Kino eine besondere Begabung hätten.

Der Film zeigt, dass ein gewisses Filmhandwerk offenbar erlernbar ist, dass das aber nichts hilft, wenn das Talent zum Geschichtenerzählen nicht da ist. Das macht den Film ätzend und langweilig.

Es wäre interessant zu erfahren, was die fördernden Gremien und Fernsehanstalten dazu bewegt hat, dieses unausgegorene Szenengebastele zu fördern und zu finanzieren, den beiden Damen (Autorin und Regisseurin) das Gefühl zu geben, Profis zu sein, ziemlich hinterhältig würde ich sagen, sie in dieser Illusion zu wiegen.

Wobei die passable Kamera und eine Musik, die mehr erzählt als das, was im Bild vor sich geht, den Szenenverhau davor bewahren, vollkommen abzustürzen.

Zu verdanken haben wir das im Presseheft nicht mit namentlicher Verantwortung aufgeführten Funktionären von WDR, Arte, Film- und Medienstiftung NRW, DFFF, Kuratorium junger deutscher film sowie BKM. Der Zwangsgebührenzahler is not amused.

Rote Karte des Zwangsgebürenzahlers!

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