Kommentar zu den Reviews vom 29. März 2018

Verdammt ernste Angelegenheiten. Ein Diktator, der dem eigenen Sicherheitsdenken zum Opfer fällt. Ein demokratisch gewählter Präsident als Flüchtling im eigenen Land. Ein Tüftler, der mit einem untüchtigen Trimaran sich zur Nonstopweltumseglung aufmacht. Ein gebildeter Mensch, der sieht, wie alle seine Studienkollegen Karriere machen. Ein Meisterregisseur, der zwei Greenhorns von Nachwuchsautoren ernst nimmt. Menschen, die sich als Flüchtlinge selbst organisieren müssen. Ein typisch deutsches Subventionsprodukt versucht, Gefühle mit Regenwetterberichten zu beschreiben, ein zweites nimmt das Unernste nicht ernst genug und ein drittes hockt sich mit fettem Subventionshintern auf einen Kinderbucherfolg und macht ihn platt. Auf DVD gibt’s einen Doppel-Gang durch die Innereien der Humorerzeugung. Im Fernsehen gabs Pfründenplündererumfeld.

Kino
DEATH OF STALIN
Wer andern eine Grube gräbt….

VOR DEM FRÜHLING
Von der Demokratie in die nachsowjetische Traufe in Georgien.

VOR UNS DAS MEER
Nur Projekte, die den Erfahrungshorizont des Menschen überschreiten, bringen ihn weiter.

IM ZWEIFEL GLÜCKLICH – BRAD’S STATUS
Sacramento ist nicht das Traumziel einer akademischen Karriere.

UNSANE: AUSGELIEFERT
Mit meisterhafter Hand zeigt Soderbergh zwei unausgereiften Nachwuchsautoren, was eine Harke ist.

EXODUS
Flüchtlinge sind Menschen, die eine besondere Lebenssituation bewältigen müssen.

1000 ARTEN REGEN ZU BESCHREIBEN
Hier pfeifen selbst die Gullideckel auf den Ansatz von Poesie, der auf deutschem Subventionsfilmkulturboden nicht gedeihen kann.

VERPISS DICH, SCHNEEWITTCHEN!
Pech für eine passable Idee, wenn sie auf den ausgelaugten Boden des überdüngten deutschen Filmackers fällt.

JIM KNOPF UND LUKAS DER LOKOMOTIVFÜHRER
Michael Ende hat eine Erfolgsstory geschrieben und das deutsche Subventionskino bringt sie hölzern auf die Leinwand.

DVD
ENTERTAINMENT und THE COMEDY
Humor ist, wenn dessen professionelle Hersteller (Witzeerzähler oder Comedien) nichts zu lachen haben.

TV
MANNSBILD & PFUNDSKERL (Folge 4)
Keine Besserung in Sicht.

Verpiss Dich, Schneewittchen!

Wunderbare Idee,

für einen aufstrebenden Rockmusiker, Bülent Ceylan, einen Kinofilm zu machen. Das Kino ist schließlich zum Träumen da. Umso mehr als Bülent Ceylan sympathisch wirkt mit seinem warmherzigen Blick, seiner schwarzen Indianermähne, seiner Leinwandpräsenz- und -geschmeidigkeit, seiner Stimme und auch, dass er mühelos wechselt zwischen Hochdeutsch, Dialekt und Türkisch.

Das Storygrundkonzept (Drehbuch: Cynet Kaya, Rainer Bender, Stefan Höh und Mathias Brod) ist tragfähig. Die Geschichte vom Hamam-Mitarbeiter Sammy (Bülent Ceylan), der davon träumt, ein Rockstar zu werden.

Bis jetzt tritt Sammy nebst seiner Arbeit im Hammam seines Onkels hobbymäßig in Altenheimen oder als Musiklehrer in einem Kindergarten auf. Er hört von der Castingshow von Splash TV. Da fürs Bewerbungstape eine Band gefragt ist, bewirbt er sich mit einem originellen Zusammenschnitt von sich selbst als Band.

Sammy weckt das Interesse der Jurorin Thomaschewsky (Sabrina Setlur). Aber er wird nur zugelassen, wenn er mit einer richtigen Band auftritt. So schustert er – bewährtes Kinorezept – Zufällen geschuldet eine trostlose Truppe zusammen, die so gar nicht nach Sieg aussschaut: die harte Jessi (Josephine Preuß), den arbeitslosen Wolle (Paul Faßnacht) und den dicken Mahmut (Özgür Karadeniz) als Trommel.

Eine Gurkentruppe, die selbstverständlich nach verschiedenen Hindernissen, eigenen Problemen und unfairen Attacken von außen, siegen wird. Gute Voraussetzungen also – auch vom Cast her – für einen prinzipiell international vermarktbaren Musik-Genre-Film. Und es gibt sogar Ansätze von Dialogwitz, der Masseur, der als der Mozart der Masseure bezeichnet wird oder der Junge, der gefragt wird, ob er das schafft, antwortet: Schaffstdudas ist mein zweiter Vorname.

Allein, es funktioniert nicht. Die Inszenierung von Cüneyt Kaya (Ummah – Unter Freunden) funktioniert nicht. Die 88 Minuten ziehen sich. Warum?

Weil das deutsche Kino, das subventionsüberdüngte, funktionärsbeherrschte verlernt hat, einfache Geschichten zu erzählen? Warum bescheidet sich schon das Buch nicht darauf, Schritt für Schritt die Probleme zu erzählen, die Sammy und seine Band auf dem Weg zum Ziel meistern müssen? Warum wird viel Zeit verschwendet für unergiebies Bashing von Castingsituationen, warum die Szene in der Kirche, in der Kneipe, warum müssen da so viele Leute vorgeführt werden? Das hat doch mit der Entwicklung der Geschichte nichts zu tun. Warum muss nach dem glücklichen Ende bei den ersten Studioaufnahmen von Sammy (und warum ist der Rest der Band nicht mehr dabei?) noch eine dämliche Nachwuchsmanager-Bashing-Szene rein? Um nur einige zu nennen. So wird Energie von der Spannung abgezogen, mit Unergiebigem die Zeit vertan. Wobei bereits der Titel die Charmlosigkeit des Unternehmens bedeutungsvoll hervorhebt.

Vor dem Frühling

„Im Frühling 1991 erklärt Georgien seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Der gewählte Präsident erreicht eine überwältigende Mehrheit der Stimmen.
Ein Staatsstreich zwingt den Präsidenten ins Exil. Doch er kehrt zurück, um seine einstige Macht wiederzuerlangen.
Was folgt, ist ein Bürgerkrieg und der Präsident flieht in die Berge des Kaukasus, gefolgt von einer kleinen Gruppe von Anhängern
“, so der Antext im Film.

Eine groteske Parabel zum Zustand der Demokratie in den SU-Nachfolgestaaten am Beispiel Georgiens. Ein Kammerspiel in freier Natur und in Holzhäusern mit bevorzugter Schlaglichtfotografie.

Ein Dutzend Männer in Kampfanzügen, mit Rucksäcken und Gewehren begleiten einen demokratisch gewählten Präsidenten (Hossein Mahjoub) durch sein Land, quasi untergetaucht. Denn der Präsident ist von einer Junta verjagt worden. Seine erste Rückkehr ins Land hat nur Krieg gebracht. Jetzt aber will er bleiben, will für Georgien da sein.

Dieses Georgien ist ein Georgien der Gebirgspfade und Gebirgszüge, der Gebirgswälder, der Schneelandschaften, halbverfallener Holzhütten und Holzhäuser. Ständig müssen der Präsident und seine Getreuen weiterziehen. Immer wieder erfahren die Verfolger, dass er hier ist. Er ist überzeugt, dass die das sowieso wissen.

Bei einem Stausee, ein paar Tagemärsche entfernt, würden sich versprengte Gardisten befinden. Das sei das Ziel. Aber irgendwie scheint der Marsch nicht über ein Tal hinauszukommen, scheint, sich im Kreise zu drehen.

Der Präsident ist städtisch gekleidet, trägt Anzug, weißes Hemd, Krawatte, Schal, Mantel und eine schwarze Aktentasche mit einem Revolver und Papieren drin. Ein befremdlich-unwirkliches Bild, wie er so durch Match, Dreck, Schnee stapft, über gebirgige Steilpfade und dünne Stege wandelt, reißende Bäche quert. Seine Getreuen spielen den Präsidenten mit.

Ein weiterer Begleiter ist der Premierminister. Der sieht schlecht, trägt eine dickrandige Hornbrille und bricht allenthalben fast zusammen bei den Märschen. Nach der Überquerung eines angeschwollenen Flusses zieht er die nassen Klamotten aus und löst damit eine Lachorgie der um ein Lagerfeuer versammelten Gruppe aus.

Der Präsident spricht präsidial und verwendet präsidiale Gesten, er verhält sich so, als sei er im Präsidentenpalais. Manchmal tritt er in die freie Natur hinaus, so als trete er an ein Fenster oder auf einen Balkon. In seinem Kopf lärmen Echos auf ihm zujubelnde Massen – oder er hat Angstträume, dass er mit verdreckten Schuhen über den roten Teppich geht. Er will sich nicht vertreiben lassen, denn er ist demokratisch gewählt.

Die Gastgeber in den verlassenen Häusern, Hütten und Schuppen begrüßen ihn als Präsidenten überrascht und ungläubig, kredenzen ihm Schnaps, bringen Toasts auf den ihn aus. Immer wieder werden Lieder zu Ehren von Georgien gesungen oder es wird wild getanzt. Männertanz.

Wer will, kann klare Hinweis zur Met-Too-Debatte in Hollywood finden in diesem Film von George Ovashvili, der mit Roelof Jan Minneboo auch das Drehbuch geschrieben hat und der von ZDF und arte gefördert worden ist. Denn in den Behausungen sind keusch wirkende Frauen, die dem Präsidenten etwas servieren und die erste bittet er gleich, etwas länger bei ihm zu bleiben. Einer anderen drückt er verstohlen ein kleines Heiligenbildchen in die Hand.

Das Interesse des Präsidenten an den ihm begegnenden Frauen ist eindeutig inszeniert. Genaus so eindeutig, wie der Präsident einmal den Premier in flagranti überrascht, wie dieser in einem Keller eine Frau von hinten nimmt. Wir können uns vorstellen, dass der Regisseur dabei grinst und denkt: was Hollywood kann, können und kennen wir schon lange in Georgien – mit dieser Geste mit zwei Fingern unter einem Auge, wie das ZDF sie für seine Werbung benutzt.

Text im Abspann: „Am Freitag, 31. Oktober 1993 stirbt Zviad Gamsakhurdia, der erste gewählt Präsident Georgiens in einem leerstehenden Gebäude in dem Dorf Khibula.
Bis heute ist ungewiss, ob er getötet wurde oder sich selbst das Leben nahm.

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Wo ist Shirley McLaine abgeblieben?

Die Verfilmung dieses beliebten und bekannten Kinderbuches von Michael Ende war vor einiger Zeit schon bei IMDb annonciert als internationales Projekt mit Dreh in Australien mit Shirley MacLaine als gesetztem Weltstar.

Das hat hohes internationales Niveau versprochen. So weit ist es nicht gekommen. Die Story der Realisierung des Projektes führte offenbar dazu, dass es in den Fängen und Fallen des deutschen Subventionskinos gelandet ist und glaubt, mit den entsprechenden „Namen“ Qualität zu garantieren.

Der damalige Initiant des Projektes Matthias Rosenberger taucht jetzt hinter Christian Becker, Christoph Fisser, Derrick H. Myer bei IMDb als vierter in der Produzentenliste als „executive producer“ auf. Was von seiner ursprünglichen Ambition internationalen Flairs geblieben ist, wir wisssen es nicht.

Unter der bleifüßigen Regie von Dennis Gansel ist biedere, deutsche Subventionskost aus dem fantasievollen Stoff geworden mit hölzern inszenierten Schauspielerszenen.

Nicht dass sich die Gewerke nicht reingehängt hätten mit Ausstattung, Schminke, Frisuren, Kostümen, Postproduktion und der Herstellung eines nur schwer erträglichen Dauersüßsoundes gemäß der Finanzausstattung, die bei den Heerscharen von Förderern und TV-Anstalten nicht gering gewesen sein dürfte.

Aber der Film kommt über den Skelett-Status einer Story nicht hinaus. Diese immerhin ist ablesbar – wenn auch mit typisch schwerfällig deutschen TV-Dialogen, denen jede Freude fremd ist (Drehbuch: Dirk Ahner, Andrew Birkin + 3), -, aber ihm fehlen Fleisch, Blut, Geschmeidigkeit, Sinnlichkeit, Fantasie.

Henning Baum ist in der einen der beiden Titelrollen eine krasse Fehlbesetzung. Er ist zwar äußerlich auf abenteuerliche Figur, mehr Seeräuber als Lokomotivführer, hergerichtet. Seine Stimme ist angenehm tief; drückt aber seinen Gefühlen einen Kühlschrankstempel auf. So dass überhaupt keine Beziehung entsteht zur zweiten Hauptrolle, dem Darsteller des Jim Knopf (Solomon Gordon), auch er eine krasse Fehlbesetzung, aus dem keine Neugier, keine Entdeckerfreude sprüht, kein Lebens- und Wissenshunger, der oft gezwungen wirkt, als ob das Drehen für ihne eine Qual wäre – da kann der arme Junge nichts dafür (aber sehr wohl Regisseur und Caster). Lässt sich in diesem Alter nicht ein filmaffinerer Bub finden?

Es gibt einen einzigen frisch-erfrischenden Satz im ganzen Film, der stammt von einem bayerischen Buben. Das ist der „Sacklzement“-Satz, der das Kino aus dem Dämmer aufschreckt – oh, es passiert was.

Öde ist auch die Animation von „Emma“, der Lokomotive, die sich ab und an ins Geschehen einmischt. Das passiert nur akustisch, selten mit Dampfablassen dazu, sodass oft erst nicht klar ist, dass sie Akteur wird. Warum wurde auf eine Mimik des Chassis verzichtet, wie es doch bei den Cars-Filmen höchst erfolgreich eingesetzt wird – warum müssen wir so überdeutlich klar machen, dass wir schlechter sind als Hollywood? So aber bleibt Emma totes Material, hingestellte Deko, zu der weder die Mitspieler noch die Zuschauer ein Verhältnis entwickeln; was weniger im Sinne Michael Endes sein dürfte.

Uwe Ochsenknecht grimassiert sich (inzwischen sein Markenkern?) billig und knallchargig durch die Königsrolle, generiert damit keine Reaktion im Saal; er agiert ins Leere hinaus; Fehlbesetzung auch er.

Die Inszenierung von Dennis Gansel ist nicht nur hölzern und bleiern, sie ist auch lausig. Sie verschenkt Gag um Gag. Wenn Jim mit der Steinschleuder einen Stein vor den Schuh von Herrn Ärmel (ein ärmlicher Christoph Maria Herbst) platziert und es spritzt, muss sozusagen wissenschaftlich eruiert werden, was da passiert ist und dass das ein Streich war und lustig gemeint.

Ebensowenig über das Stadium der Idee hinaus ausgearbeitet ist der Moment, wie Lukas die Lok repariert und Jim ihm das Handwerkszeug reicht. Dann zieht Jim plötzlich an einer Kette, die von oben runterhängt, daraufhin spritzt Wasser auf Lukas. Auch da muss der Zuschauer erst die Situation analysieren, bis er merkt, wie und womit Jim sich einen Spaß erlaubt hat. Miserabel erzählt von Gansel.

Oder wie einer ein Streichholz an einem Helm anzündet – ebenfalls verschenkt. Oder die anfängerhaft animierten Felsbrocken. Oder die Geschichte von der Schraube am Boden des Kessels, die nur halb erzählt wird, nicht empirisch nachvollziehbar. Noch nie einen Film von Steven Spielberg gesehen und wie er Dinge genau und nachvollziehbar erzählt, Herr Gansel?

So setzen sich die Unschärfen und Schludrigkeiten, die die Perzeption erschweren, durch den Film fort, kinematographische Wackeligkeiten, die die Synapsenbildung im Zuschauerhirn lähmen bis stilllegen, was nichts anderes bedeutet, als dass die Regie weitgehend zuschauererlebnisresistent bleibt. Womit die bestimmt hohen Erwartungen der Produzenten entsprechend runtergeschraubt werden sollten. Ein Film ohne Charme, mit einer überforderten Regie, mehreren Fehlbesetzungen, ohne Verführung zum Kino, ohne kreativen Mehrwert für den Zuschauer.

Exodus – Der weite Weg

Flüchtlinge sind Menschen, die sich unter erschwerten Bedngungen organisieren müssen. Erst die Flucht, dann mit minderprivilegiertem Status in den Aufnahmeländern; hinzu kommen Sprachdefizite.

Hank Laevine zeichnet rund um die Welt einige Flüchtlingsschicksale. Gemeinsam ist den Menschen, dass sie vor Verfolgung und Krieg geflohen sind. Oft sind sie an schönen Orten, die für uns touristischen Stellenwert haben, am Meer in Brasilien oder auf Kuba, im traumhafter Natur in Myanmar.

Pulina aus dem Sudan ist Flüchtlingsaktivistin in Deutschland und heiratet den Berliner Max. Von deutscher Diskussionskultur ist sie meilenweit entfernt. Der Palästinenser Nazar kann mit dem gesammelten Geld seiner Familie aus Syrien nach Brasilien reisen, dort entwirft er seine Zukunftsplanung; diese wird erschwert durch die Staatenlosigkeit der Palästinenser. Er fliegt über Kuba nach Frankfurt und kann vorerst in Deutschland arbeiten.

Die Lage in Syrien war Dana zuviel. Sie ist ganz allein ausgereist und in Sao Paolo in Brasilien gelandet. Sie hat dort einen adminstrativen Job in einer Moschee, ist bekennende Kopftuchmuslimin und hilft anderen Flüchtlingen.

Bruno findet, ihm seien im deutschen Flüchtlingslager sieben Lebensjahre gestohlen worden, weil in Deutschland Flüchtlinge während des Asylverfahrens nicht arbeiten dürfen. Heute ist er Flüchtlingsaktivist.

Eine Familie der in Myanmar unterdrückten christlichen Kachin baut sich im Flüchtlingslager eine neue Existenz auf, kehrt zeitweilig noch ins Dorf zurück, das oft unter Beschuss kehrt.

An der Grenzmauer zu Marokko bilden Hunderte von Menschen im Niemandsland den Schriftzug Sarah Libre.

Die verschiedenen Fokusse schneidet der Dokumentarist ineinander, untermalt sie mit einer aufmunternd-kämpferischen Musik und zwischendrin liest eine weibliche Stimme Flüchltingslyrik über die Grundbefindlichkeit des Verlustes der Heimat.

Flüchtlingspotpourri aus aller Welt, mit modern klassischer Musik untermalt. Konflikthopping.
Flüchtlinge sind Menschen, die sich in schwierigen Situaitonen organisieren müssen.

Im Zweifel Glücklich – Brad’s Status

Was ist Erfolg?

Über diese Frage gründelt Ben Stiller in diesem Film von Mike White skeptisch, nachdenklich und doch nicht ohne Humor, nicht verbissen.

Es geht um einen Vergleich und ums Vergleichen. Einmal die Träume, die man als Student gehabt hat. Und dann der Vergleich, was ist aus einem selbst, was aus den anderen geworden?

Ben Stiller als Brad ist wirtschaftlich und PR-mäßig klein geblieben, ist geplagt von Versagensängsten, sieht im Fernsehen oder hört vom Erfolg der anderen. Der eine ist schon in Rente. Der andere hat einen Privatjet, der dritte, Craig, veröffentlicht Bücher und ist oft im Fernsehen.

Brad hat eine kleine Non-Profit-Origanisation auf die Beine gestellt hat, die Gelder für wohltätige Zwecke sammelt. Seine Frau Melanie (Jenna Fischer) hat einen Job bei der Regierung. Der sanft-intelligente Sohn Troy (Austin Abrams) hat das College hinter sich und steht vor der Wahl, eine Universität zu finden. Die Familie lebt in Sacramento. Das ist nicht grandios zum Angeben (siehe auch den Film von Greta Gerwig, Lady Bird).

Troy möchte in Harvard studieren. Sein Vater hat auch in Boston studiert. Aber bei Tuft. Brad hält Troy für begabt. Aber sie vermasseln den Vorstellungstermin. Hängen nun in einem Hotel fest. Brad versucht, alte Beziehungen zu reaktivieren, um seinem Sohn zu einem Vorstellungsgespräch zu verhelfen.

Die Frage über allem ist die, wie definiert sich Glück, wie Selbstsicherheit, wie Erfolg. Brad trifft sich mit dem erfolgreichen Craig (Michael Sheen) in einem Restaurant. Brad ist als erster da, bekommt einen wenig begehrten Tisch direkt neben dem Küchenzugang. Wie der fernsehbekannte Craig kommt, setzt der sich gleich an einen (guten) reservierten Tisch und die Bedienung ist äußerst zuvorkommend, obwohl Craig vorher nie hier gewesen ist. Die Fernsehberühmtheit machts. Das lässt Brad frustriert aussehen.

Die Diskussion geht um die Erwartungen von damals, leuchtet hinter die Kulissen von diesem und jenem Erfolg; streift das Statusdenken, lässt die Frage nach dem Glück im Raume schweben. Ist es nicht schon Glück, gesund zu sein, überhaupt zu leben?

Andererseits ist es beneidenswert, wenn einer schon mit 50 in Rente geht, auf Hawai High-Life hat mit zwei attraktiven Frauen?

Der Sohn von Brad ist eine wunderbare Figur, wirkt viel abgeklärter, höflicher und cooler, Symbol einer wenig aufgeregten Jugend und doch erstaunt, wie der Vater ihm Schwächen eingesteht.

Ben Stiller dürfte mit dieser Figur Repräsentant für Millionen intelligenter, gebildeter Menschen sein, die sich zu Beginn ihres Studiums viel zugetraut haben, für sich vieles für möglich gehalten haben; die aber nicht im Rampenlicht stehen, die ruhig an dieser oder jener Stelle wirken, bei denen vielleicht auch die Lust und die Liebe aus dem Leben verschwunden sind, wo es nur noch darum geht, wie finanzieren wir das Studium unseres Sprößlings, damit der ein besseres Leben haben kann (dazu gibt es ein Gespräch zwischen Brad und seiner Frau Melanie nachts hinsichtlich allfälliger Erbschaften beim Tod der Eltern).

Materialismus und Glück. Das Versagergefühl. Brad führt offenbar nicht das Leben, das er sich vorgestellt hat. Die Upgrade-Szene für den Flug nach Bosten steht symbolisch dafür.

Siehe auch den Film über Getty und die Frage des Reichtums von Ridley Scott, Alles Geld der Welt. Auch gesteht Brad sich die Angst vorm Erfolg des Sohnes ein, was, wenn der eine größere Karriere macht, wenn der berühmt wird? Ach, diese blöde Vergleicherei – und das bescheidene Gegenargument, Hauptsache noch am Leben zu sein, was vermutlich die deutsche Titelung signalisieren will; während der Original Titel „Brads Status“ das Problem anspricht und nicht die Verlegenheitslösung.

Vor uns das Meer

Donald Crowhurst hat ein Stück Seefahrtsgeschichte geschrieben, als er 1968 als unerfahrener Seemann mit einem selbstgebauten Boot von Teignmouth an der britischen Küste aus zu einer Nonstop-Weltumseglung startete.

Donald nahm an der Regatta um die erste Einhand-Weltumseglung teil – completely unprepared -, die von der Sunday-Times ausgelobt worden ist. Er erhoffte sich mit seinem selbstgebauten Boot den Sieg, um mit der Prämie sein Geschäft vor der Pleite zu retten.

Er war ein Tüftler, hat seinen Trimaran selber entwickelt und auch den Navicator, ein Funkpeilgerät, das mit einer Hand zu bedienen ist. Colin Firth spielt diesen abenteuerlichen Menschen, der alles hinter sich lässt, Geschäft, seine Frau (Rachel Weisz), drei wunderbare 60er-Jahre-Kinder. Sein Motto: nicht das Berühmtsein macht einen Menschen interessant, sondern seine Pläne, die Grenzen zu sprengen, Neues auszuprobieren.

Eine Geschichte nach einer wahren Begebenheit. Scott Z. Burns (Side Effects, Contagion, The Informant) hat das Buch geschrieben und James Marsh (Die Entdeckung der Unendlichkeit) die Regie geführt. Die beiden garantieren für einen faszinierenden und spannenden Abenteuerfilm.

Allerdings war Donalds Boot nicht richtig seetüchtig. Das erfordert von Donalds viel Improvisation und Durchhaltewillen. Immerhin hat er mit dem Boot bewiesen, dass er deutlich schneller als alle Konkurrenten unterwegs war, wenn er auch als letzter gestartet ist.

Es folgen Regelbrüche, schlechtes Gewissen deswegen, Angst davor, dass wenn er der schnellste würde, man sich für sein Logbuch interessieren würde, so bleibt er auf der Rückreise in den Rossbreiten hängen.

Parallel dazu läuft in England die Medienmaschinerie an, nimmt Fahrt auf mit News und Fakenews zu dem bislang unbekannten Bewerber. Doch der Film nimmt eine Wendung, die einer schönen Story nicht gut bekommt, die ein Risiko für die Vermarktung des Filmes darstellen dürfte: eine Geschichte, der der Protagonist abhanden kommt, und wenn er noch so brillant und überzeugend ist wie hier Colin Firth, hm, Geschichten im Kino sollten gut ausgehen – das unterscheidet sie doch häufig vom wahren Leben. Donalds Funkcodewort: Mike Zulu Uniform Whisky.

Unsane: Ausgeliefert

Was hat Meister Steven Soderbergh (Logan Lucky, Side Effects, Liberace) geritten, ihn, der doch aufhören wollte, Filme zu machen, das Drehbuch von Jonathan Bernstein und James Greer zu verfilmen? Will er den beiden Nachwuchsautoren, die bisher laut IMDb überwiegend Kurzfilme gemacht haben, die Erfahrung beibringen, wie schwer es ist, einen Langfilm mit thematischer Klarheit und einem tragenden Spannungsbogen zu schreiben? Soderberghs Inszenierungshandschrift ist makellos und souverän; sie bringt Drehbuchunklarheiten deutlicher zum Ausdruck als Wischiwaschi-Inszenierungen.

Hat Soderbergh das Thema Stalking interessiert? Darunter leidet seine Protagonistin Sawyer Valentini (Claire Foy). Hat ihn interessiert, dass das womöglich mit dem frühen Verlust der Vaterfigur zu tun hat? Hat ihn vor allem das kleine Kapitel über Stalking-Prävention interessiert?

Oder hat Soderbergh mehr interessiert, wie ein Mensch in die Maschinerie einer therapeutischen Klinik hineingeraten kann und dass dabei vor allem das Geschäftsinteresse ausschlaggebend ist: solange die Krankenkassen bezahlen, so lange wird ein Patient dabehalten in der geschlossenen Abteilung?

Hat Soderbergh das dünne Nervenkostüm einer gestressten Frau, Sawyers, interessiert, das sie schnell ausrasten, unter Verfolgungswahn leiden und schnell gewalttätig werden lässt? (Wodurch die Klinik noch mehr Argumente erhält, sie hier zu behalten).

Hat ihn vor allem das abgebrüht charakterisierte Klinikpersonal interessiert, das sich gedankenlos an die Vorschriften hält? Hat ihn vor allem die Gummizelle interessiert, die theatrale Auseinandersetzung zwischen Sawyer und ihrem (vermeintlichen?) Stalker David Strine (Joshua Leonard), Einzelhaftexzesse?

Oder hat ihn das Verhältnis zwischen Tochter und Mutter (Amy Irving) interessiert, dass die Mutter glücklich über das Unglück der Tochter ist, so dass sie als Mutter endlich gebraucht wird („die Kavallerie“)?

Oder hat ihn der Mord-Trieb im Stalker interessiert? Sucht Soderbergh in diesem Heuhaufen von Liebesverhinderungsthemen nach der Liebe? Eine Überladung mit all diesen Themen scheint mir das Hauptproblem bezüglich Verdaulichkeit und Genießbarkeit dieses Filmes zu sein.

The Death of Stalin

Opfer des eigenen Systems.
Verreckt an der eigenen Sicherheitshysterie.
Grotesktanz um die Macht.

Während Der Tod von Ludwig XIV sich am höfischen Getue von ratlosen Medizinern und der Entourage des Königs in den intimsten Gemächern Seiner Majestät einen Scherz erlaubt, rankt sich dieser Film von Armando Iannucci nach dem Comic von Fabien Nury und Thierry Robin am machtgeifernden Hofschranzen- und Politbonzentum um einen brutalen Diktator als karikierende Groteske hoch, als ob die Zeichenkunst eines Daumier zum Leben erweckt würde.

Ein falsches Wort, ein falscher Schritt, eine falsche Geste, ein Lachen an der falschen Stelle könnte umgehend Eintrag in eine der berüchtigten Listen und somit Gulag und Tod bedeuten.

Um diese Listen, deren Wege und Wirkungen, deren letalen Nimbus entwickelt der Film brillante Choreographien.

Zu des Diktators unerwartetem und raschem Ableben führt eine unglückliche Verkettung von Umständen, die ihre Existenz einzig und allein des Diktators brutalem Terrorsystem und seiner Sicherheitshysterie zu verdanken haben.

Der Film fängt mit einem klassischen Konzert an. Stalin (Adrian McLoughlin) verlangt unmittelbar darnach einen Mitschnitt in sein Prachtslandhaus. Allerdings haben die NKVD-Mitarbeiter vor lauter Angst und Panik vergessen, das Konzert aufzunehmen. Das wurde zu dieser Zeit, der Film spielt 1953, noch direkt auf Vinylplatten gepresst.

Die Geheimdienstoffiziere kämpfen um ihr Leben, diesen Mitschnitt zu liefern, indem sie die Reste der Konzertbesucher wieder einfangen, Orchester und den Dirigenten teils bereits von zuhause wieder zurückbeordern, um das Konzert zu wiederholen und die gewünschte Aufnahme liefern zu können.

Die Pianistin Maria Yudina (Olga Kurylenko) weigert sich, nochmal für den Potentaten aufzutreten, ihre halbe Verwandtschaft hat er verschwinden lassen. Gegen 20′ 000 Rubel lässt sie sich erweichen. Sie schmuggelt einen persönlichen Brief an Stalin in die Plattenhülle.

Wie Stalin diese persönliche Beschuldigung liest, kollabiert er, bleibt auf dem Teppich liegen. Jetzt geht der Zirkus erst richtig los. Wer das der Reihe nach entdeckt, wie damit umgeht, bereits versucht, sich Startvorteile für die Nach-Stalin-Ära zu sichern, Iannucci inszeniert das fabelhaft.

Dabei ist Stalin noch gar nicht tot. Nach einem abenteuerlichen Transport in sein Schlafzimmer stellt sich die Frage nach Ärzten. Die guten seien alle im Gulag, ist zu erfahren. Auch hat nicht jeder im versammelten, innersten Politzirkel ein Interesse am Überleben des Potentaten.

Ausstattung und Kostüme im Film sind von dieser eigenartig sozialistisch-kommunistischen, plastischen Ästhetizität – ein schräger Augenschmaus.

Eine zusätzlich pikante Wirkung entfaltet der Film dadurch, dass die Schauspieler überwiegend ein prima British English sprechen, das das Russische wegfegt und das Machtgewurle gleichzeitig auf ein austauschbares, internationales Niveau hebt, gesprochen von Mimen, die mit vielen Wassern gewaschen sind, Jason Isaacs als Georgy Zhukov, Andrea Riseborough als Tochter Svetlana von Stalin, Steve Buscemi als der hintertriebene Nikita Krushchev, der die nicht geliebte Aufgabe der Organisation der Trauerfeier zu seinem Fortkommen nutzt, Rupert Friend als Sohn Vasily von Stalin. Mimen, denen man ansieht, wie es ihnen Spaß macht, diese aalglatten, opportunistischen, schmierigen, wetterwendischen Anpasser und Intriganten zu spielen, die Eigenschaft von Macht und Machtgier mimisch, gestisch und im Duktus der Stimme sicht- und hörbar zu machen.

Insofern lässt sich dieses Bild von Machtversessenheit und Machtverbohrtheit wunderbar auch auf heute übertragen. Söder oder Seehofer, Merkel oder Nahes, Altmeier oder Spahn alle diese Machtmenschen und viele mehr wären nahtlos in diese Bilder einzufügen – und machen uns bewusst, wie kostbar doch Demokratie und ihre Verfahren sind, wie leicht sie aufs Spiel zu setzen sind durch einfältige Machtgier und Machtversessenheit, wenn ein Einzelner nur noch die Machtposition und nicht mehr das Allgemeinwohl im Blick hat.

Dass der Film kein Quatsch ist und einen Nerv trifft, beweist das Aufführungsverbot in Russland.

1000 Arten Regen zu beschreiben

Tanzender Gullideckel.

Die Idee ist hübsch, Gefühlslagen über Regenwetterberichte zu charakterisieren, da könnte Poesie mitschwingen. Tut es nicht und eine Gestaltungsidee allein kann keine Drehbuchausarbeitung ersetzen, keine Geschichte. Es bräuchte als noch eine Geschichte, um die Idee zur Wirkung zu bringen. Diese fehlt in diesem vielseitig geförderten Film von Isabel Prahl nach dem Drehbuch von Karin Kaci (Anduni -Fremde Heimat).

Insofern ist leicht nachvollziehbar, dass ein tanzender Gullideckel im Regen wohl der einzige bleibt, der sich halbwegs amüsiert.

Die erfundenen Menschen und Szenen drehen sich um eine Leerstelle. Sie soll das japanische Phänomen Hikikomori illustrieren. Hierbei zieht ein Mensch sich, ein Jugendlicher vornehmlich, womöglich über Wochen von der Gesellschaft, von der Familie zurück, schließt sich in sein Zimmer ein. Das ist Mike.

Dass er eine Leerstelle bleibt, zeigen schon die Titel: Ewig lang und leinwandfett bleiben die Namen von Bjarne Mädel (Vater), Bibiana Beglau (Mutter) und Emma Badin (Tochter) dem Zuschauer überbedeutungsvoll aufs Auge gedrückt, auch in Disproportion zu den späteren Rollen, die vom Buch her fast nichts hergeben (wieso haben sie zugesagt, fragt man sich? Drehen auf Teufel komm raus? Halbschlaue Berater?).

Mike aber kommt in den Titeln gar nicht vor. Er hätte ja wenigstens als MIKE eine Erwähnung verdient. Um ihn dreht sich alles. Er gehört zum Vornherein nicht zur Familie. Ein schlimmer Fauxpas fürs Storytelling.

Die Schauspieler spielen sich redlich bemüht durch die kopfbürtigen Szenen, nicht einen Moment das Bild des abwesenden Mike evozierend. Aber gerade durch ihr Spiel müsste er, wenn er schon hinter verschlossener Tür agiert – die wird als erstes Bild groß auf die Leinwand gehievt: eine undurchdringliche Wand – müsste er Präsenz gewinnen, Anwesenheit durch Abwesenheit.

Aber welcher Schauspieler kann das schon spielen, welcher Drehbuchautor schon schreiben, welcher Regisseur das inszenieren – Anwesenheit durch Abwesenheit?

Vermutlich haben die guten Leute – bei allem Fleiß und aller Hingabe, denn sie selbst waren ja offenbar überzeugt von dem Buch – falsch geprobt, sich falsch präpariert. Statt dass sie den Boden für die Vor-der-Tür-Szenen gelegt hätten, indem sie, auch wenn das im Film nicht vorkommt, die Familie zu viert, intakt noch durchgelebt, erfühlt hätten. Dass für jeden Akteur jeden Moment die Abwesenheit von Mike spürbar wäre und somit auch für den Zuschauer. Dem ist nicht so.

Wir sehen Schauspieler vor eine toten Wand, vor einer verschlossenen Tür sich abmühen. Die Schauspieler machen alle Hirnerfindungen der Drehbuchautorin mit. Wenn es ein Workshop wäre, könnte man teilweise sogar sagen, sie erledigen die ihnen gestellten Aufgaben anständig, oder so gut, wie sie es schon in anderen Filmen gemacht haben. Nie aber schaffen sie es, als Vermittler einer Story Spannung zu erzeugen.

Die alte deutsche Krankheit des Themenfilmes. Die Macher entscheiden sich für ein an sich faszinierendes Thema oder Phänomen, hier das Hikikumori und wollen es dem geneigten Zuschauer mittels erfundener Personen und Szenen näher bringen.

Sie sollten aber besser erst eine Geschichte finden, in der sie das Thema unterbringen, womit es eine beiläufige Relevanz in einem Spannungszusammenhang gewinnen könnte.

Hier aber dreht sich alles um den leeren Kern des Themas, um den abwesenden Mike. Der schiebt zwar ab und an Zettel mit Regenwetterberichten unter der Tür durch; das wird schon vom Drehbuch her ins Leere laufen gelassen. Der Zuschauer wird Zeuge, wie eine wunderbare Idee unbearbeitet verödet. Die Schauspieler lesen ab und an einen Zettel. Das hat null Folgen, null Interpretations-, Assoziations- oder Erhellungseffekt. Nette Idee als Totgeburt auf der Leinwand.

Beispiele für einige dieser Kopfgeburten, die die Schauspieler darstellen müssen: Vater hat es mit einem Tracheotomie-Pflegefall zu tun, muss dem das Kommunizieren über die Augäpfel beibringen; Vater schlägt wie ein Gangster die Scheibe des Autos eines Freundes ein, um etwas zu klauen; Tochter patscht mit bloßer Hand in einen Kuchen, den die Mutter gemacht hat, beißt hinein und würgt das Gekaute in die Hand der Mutter; Mutter bandelt mit einem Freund ihres Sohnes Mike an, macht einen Ringkampf mit ihm, wäscht ihm die Haare; Tochter hat in einer Graufläche auf der Leinwand eine Deflorationsszene mit einem jungen Mann, der eben etwas ausgespuckt hat, sogleich küßt sie ihn; Tochter tanzt Rhythmusgymnastik; Vater liegt in einem Hotelzimmerbett, die Putze kommt mit dem Staubsauger, er verlangt ein Glas Wasser und kippt einen Teil davon auf das Nachttischchen – all das spielen die Schauspieler, als ob es Sinn ergäbe, abgebrüht und unbeteiligt.

Diese Szenen lassen nicht den dringenden Schluss zu, dass diese Filmemacherinnen vom Beobachten der Menschen ausgehen oder fürs Geschichtenerzählen und das Kino eine besondere Begabung hätten.

Der Film zeigt, dass ein gewisses Filmhandwerk offenbar erlernbar ist, dass das aber nichts hilft, wenn das Talent zum Geschichtenerzählen nicht da ist. Das macht den Film ätzend und langweilig.

Es wäre interessant zu erfahren, was die fördernden Gremien und Fernsehanstalten dazu bewegt hat, dieses unausgegorene Szenengebastele zu fördern und zu finanzieren, den beiden Damen (Autorin und Regisseurin) das Gefühl zu geben, Profis zu sein, ziemlich hinterhältig würde ich sagen, sie in dieser Illusion zu wiegen.

Wobei die passable Kamera und eine Musik, die mehr erzählt als das, was im Bild vor sich geht, den Szenenverhau davor bewahren, vollkommen abzustürzen.

Zu verdanken haben wir das im Presseheft nicht mit namentlicher Verantwortung aufgeführten Funktionären von WDR, Arte, Film- und Medienstiftung NRW, DFFF, Kuratorium junger deutscher film sowie BKM. Der Zwangsgebührenzahler is not amused.

Rote Karte des Zwangsgebürenzahlers!