Vom Reichtum und seinen Nebenwirkungen.
Als Enkel des damals reichsten Mannes der Welt, lässt es sich anno 1973 in Rom gut leben. Direkt wie aus einem Fellini-Film entsprungen ergeht sich eines Sommerabends Paul Getty III (Charlie Plummer) auf historischem Römer Boden auf der Suche nach käuflichen Frauen. Er sieht schick aus, ist selbstsicher, er wisse sich zu helfen, erwidert er auf deren Anmache.
Er lebt mit seiner Mutter Gail Harris (Michelle Williams) in einer reicherdrückenden Altrömer Wohnung. Sie ist geschieden von ihrem Mann John Paul Getty II (Andrew Buchan), dem Sohn des Milliardärs J. Paul Getty (Christopher Plummer).
Noch ahnt der Enkel nicht, dass sein Ohr schon in wenigen Wochen zu einem der berühmtesten Ohren des Jahrhunderts werden dürfte, noch ahnt er nicht, dass er gleich entführt werden wird in einem rumpeligen VW-Bus. Noch ahnt er nicht, dass er bald die Hauptperson eines der berühmtesten Entführungsfälle des letzten Jahrhunderts werden wird.
Beginnend mit der Entführungsszene in Rom führt Ridley Scott nach dem Drehbuch von David Scarpa und dem Buch von John Pearson „sehr frei nach einer wahren Geschichte“ mit einigen magazinhaft informativen Hupfern über die Jahrzehnte bis zurück zu 1948 die Hintergründe an für die Lebenssituation des Lieblingsenkels seines Milliardär-Großvaters.
Der Film gibt Rezepte der Reichen preis, wobei der alte Getty das Reichwerden noch für leicht hält, schwieriger sei es, reich zu bleiben – selbstverständlich ohne Steuern zu bezahlen. Er gibt freimütig zu, dass er ob des Anhäufens des Reichtums – er hat diesen mit der Erschließung der Ölfelder Saudi Arabiens begründet – keine Zeit hatte, sich um die Familie zu kümmern, er musste sich aufs Geschäft konzentrieren, mit ein Grund, warum sein Sohn in Marokko in Alkohol und Drogen hängen geblieben ist und warum die Mutter von Paolo, der prima Italienisch spricht, sich hat scheiden lassen.
Wichtig in der Denke des alten Getty ist ferner der Dynastie-Gedanke (wobei Getty seine Dynastie bis zu Kaiser Hadrian zurückführt – ulkig) und auch, dass man sich innerhalb der Familie für Geschenke nicht bedankt. Ferner, dass man Bettelbriefen nicht nachkommt, denn so könnte man das ganze Vermögen verschenken und wäre dann auch bettelarm. Keine Wohltätigkeit!
Typisch ist generell das Misstrauen in die Menschen und dafür bedingungsloses Vertrauen in Artefakte, wofür der Film mit dem Gingillo listenreich den Satz gleich Lügen straft.
Und, ganz wichtig, dass wer reich sei, anders sei als die anderen, man unterscheidet sich, man hebt sich ab. Dieses Denken hat die Schwiegertochter nie übernommen. Deshalb reagiert sie auch anders als der Alte auf die Lösegeldforderungen nach der Entführung des Sohnes. Scott und seine Schreiber formen aus der Story einen spannenden, unterhaltsamen, dramatischen Kinostoff.
Der Alte will auf die Lösegeldforderung keinesfalls eingehen, denn er hat noch ein Dutzend weiterer Enkel und wenn er bezahlt, so könnte das ja Schule machen. Statt zu bezahlen schaltet er seinen Sicherheitschef Fletcher Chase (Mark Wahlberg), einen ehemaligen Geheimdienstler ein. Er soll in Italien den Enkel und seine Entführer finden. Dafür bekommt er Budget. Nicht aber für Lösegeld. Damit kommt Chase bei den Entführern aber nicht durch.
Der Konflikt spitzt sich zu. Die Drehbuchautoren haben für Wahlberg die Rolle eines positiven Helden entworfen, der zwar eine düstere Vergangenheit hat, der aber dem alten Geizkragen von Getty im richtigen Augenblick die Leviten liest. Doch da ist es um Enkels Ohr längst geschehen.
Um diesen Film herum gibt es eine Geschichte, die durchaus auch mit Geld und Ruhm und Macht zu tun hat. Zuerst spielte Kevin Spacey die Rolle des alten Getty, wobei er dafür eher zu jung gewesen sein dürfte. Dann kam die Treibjagd auf ihn, über Nacht wurde er praktisch vom heißgeliebten und verehrten Star zum Outcast, wurde wie die Sau durchs Dorf getrieben. Deshalb hat die Produktion seine Szenen rausgeschnitten und mit Christopher Plummer nachgedreht.
Zu diesem Nachdreh gibt es eine Nachgeburt an Geschichte; dass nämlich Mark Wahlberg – ganz entgegen den treuherzigen Äußerungen seines Helden Chase, der nie reich werden wird – allein für diese 10 Tage 1,5 Millionen Dollar verdient habe, während Michelle Williams sich mit 1’000 Dollar zufrieden geben musste, obwohl beide Stars von derselben Agentur vertreten werden.
Und welche Sau wird als nächstes durchs Dorf getrieben? Die Menschen, das Leben und die Kunst sind voller Widersprüche. Aber solange die Kunst gekonnt ist, mag man sie anschauen, ob sie Millionen wert ist oder ob es sich um einen Gingillo für 8 Dollar handelt. Mit so einem schickt Ridley Scott einen ganz speziellen Gruß an die Reichendenke.
Gekonnt schäumt Scott den Count-Down mit genügend Suspense auf, die Übergabe von Geld gegen Geisel.