Der seidene Faden

Muse mit Fallstricken.

Rasant fängt Paul Thomas Anderson (The Master) seinen Film an. Das erinnert an eine Szene aus Lola Montez von Max Ophüls. Am Hofe muss ein Kleid probiert oder adjustiert werden und es fehlen Nadel und Faden. Der mündlich weiter gegebene Ruf „Nadel und Faden“ hallt durch den ganzen Palast und die Kamera folgt dem Weg des Rufes, dem Weg der Hierarchie.

So rasant führt Paul Thomas Anderson in das Atelier von Reynold Woodcock (Daniel Day-Lewis) in einem Londoner Bürgerhaus ein. Er folgt dem Weg der Näherinnen zur Arbeit. Der Film spielt 1955. Entsprechend sind die einfachen Frauen gekleidet. Sie kommen fast in einer Reihe zur Arbeit. Betreten das Haus. Winden sich in militärischem Tempo die Stiegenhäuser hinauf bis ins Atelier unter dem Dach.

Mit dieser Szene hat Paul Thomas Anderson mich bereits vereinnahmt und gewonnen für diese Geschichte, die eine Geschichte des Künstlers und seines Modells sein wird, die aus größerer Distanz betrachtet als geniale Replik auf mother! von Darren Aronofsky gesehen werden kann.

Als eine Replik auch im Sinne der aktuellen Vorgänge in Hollywood, wie die Frauen sich jetzt zu wehren anfangen gegen die selbstverständliche Männerherrschafts-Interpretation der Muse als Liebesobjekt.

Der Job des Modeschöpfers ist anstrengend. Woodcocks engste Mitarbeiterin ist Cyril (Lesley Manville), die typisch strenge Frau, die alles im Blick und im Griff hat und dem Meister seine Wünsche von den Lippen abliest, ihm den Weg freischaufelt und den Raum freihält – störet seine Kreise nicht.

Cyril ist untrennbar mit des Meisters Erfolg verbunden. Aus Sorge um seine Gesundheit hat sie ihm ein paar Tage auf dem Land verordnet, in einem Seebad. Dort stolpert Alma (Vicky Krieps – Das Zimmermädchen Lynn) förmlich in sein Leben.

Sie soll ihm im Hotel die Frühstücksbestellung aufnehmen. Auf dem Weg dahin macht sie einen unziemlichen Stolperer und fängt seine interessierten Blicke ein. Er fackelt nicht lange, lädt sie zum Abendessen ein. Ohne zu zögern lässt sie sich auf das Musenspiel ein, sie, das einfache, scheinbar naive Mädchen vom Lande, großartig gespielt von Vicky Krieps.

So ganz problemlos wie der Meister es gewohnt ist, läuft das allerdings nicht. Dazu hat Paul Thomas Anderson eine schöne Frühstücksszene eingebaut und alle Aktivitäten von Alma deutlich als Störgeräusche inszeniert gegen die Konzentration des Meisters. Er ist das nicht gewohnt. Sie gibt ihm Widerworte, er ist Unterwürfigkeit gewohnt. Einmal erlaubt sie sich sogar zu bemerken, dass ein Kleid, das sie präsentieren soll, ihr nicht gefällt. Man sieht den Meister dabei förmlich in sich zusammenfallen.

Alma ist eine Muse mit Fallstricken, sie gibt sich mit der üblichen Rolle nicht zufrieden, sie fordert Aufmerksamkeit und Liebe. Dabei läuft der Atelierbetrieb mit illustrer Kundschaft weiter.

Anderson berichtet das schöner als es irgend eine Regenbogenpresse zu berichten vermöchte, die ganz reiche Dame, die nicht gerade wie ein Intelligenzpfropfen ausschaut oder gar eine belgische Prinzessin und ihr Hochzeitskleid. Sie kommt mit Luxuslimousinen-Konvoi mit Standarte vorgefahren.

Das ganze Hofgetue am Hofstaat des Modemeisters schildert Anderson mit bissigem Vergnügen. Und eben auch die Missklänge, die Alma hineinbringt.

Alma schreckt nicht vorm Gebrauch von Pilzen zurück, um den Meister aus seiner Konzentration rauszureißen. Sie macht dem Meister einen knalligen Strich durch die Rechnung mit seinem Musenkalkül und verführt ihn zu Dingen, von denen er sich nie hätte träumen lassen, während Ciryl momentweise ihre Herrschaft gefährdet sieht.

Der Film ist eine Augenweide und gerade im Hinblick auf Frauen, die sich wehren wollen, auch eine Seelenweide. Die deutsche Synchro ist exzellent, besonders von Alma, der Luxemburgerin, die sich selber spricht.

Rosinen, wie Daniel Day-Lewis die neurotische Nervosität des Meisters schildert und dessen Reaktion auf Störungen. Ein hochneurotischer Künstler. Seine Abwehr und Fassungslosigkeit angesichts der Ansprüche der Frau, wahrgenommen zu werden, mit ihrem Mann etwas zu erleben, eine Welle zu reißen. Oder: der Meister deplaziert auf der trampeligen Sylvesterparty im Hotel Bellevue des Alpes.

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