Tony Conrad – Completely in the Present

Inspirierend, anregend, antörnend, Gerhinzellen stimulierend, Kopf durchlüftend, bildend, informativ, unterhaltsam.

Ein älterer Herr, unauffällig bewegungspraktisch angezogen, erinnert an eines Heimbewohners Stubenkleidung, steht auf einem Fußgängerstreifen einer belebten Straße, dirigiert die Autos, gibt Dirigentenkommandos und Kommentare ab. Auch dass er Radfahrer nicht mag, da die keinen Lärm erzeugen. Und ein Liferwagen von links. Ein Dame dreht sich besorgt nach dem Herrn um, ob es ihm gut gehe.

Diese Umstände machen verständlich, dass die Frau nicht ahnen kann, dass es sich bei dem netten Herrn um Tony Conrad handelt, einen der vielleicht wirkungsvollsten und wichtigsten Künstler der jüngeren Zeit. Der schwer zu kategorisieren ist, weil er sich selbst dagegen wehrt, vor allem in Hinblick auf Label und Kommerz und auch weil er nicht einfach in den Bereich Film oder Musik oder Bildende Kunst gesteckt werden kann.

Das belegt das Statement eines Kurators, der von heftigen Diskussionen erzählt, die der beabsichtige Kauf eines Werkes im Entscheidergremium auslöste, weil die in den Schubladen Film oder Musik oder Bildende Kunst denken.

Tyler Hubby porträtiert diesen kaum zu Kompromissen neigenden, um sich überhaupt keine Show machenden, radikal dem Experimentieren zugeneigten Künstler in einem süffigen Flow von Bildern aus Archivmaterial, Ad-hoc-Befragung, Äußerungen von anderen Künstlern sowie Fachpersonal aus der Kunst und mit Filmausschnitten von Tony Conrad, die über lange Strecken von seiner minimalistischen ‚Musik‘, die sich gegen Komposition sträubt, begleitet werden.

Dazu gibt es eine kleine Story. In den 60ern hat Conrad mit anderen Musikern endlos experimentiert mit den einfachsten Tönen, minimalistische Musik. Einer der Akteure, Le Monte hieß er, hat alles auf Tonband aufgenommen. Die Verabredung war, dass diese Aufnahmen für alle da seien, auch, um sie später wieder anzuhören.

Aber Le Monte rückte die Bänder nicht mehr raus. In den 90ern spielte daher Conrad diese Sessions erneut, nahm sie auf und nannte diese Aufnahmen „Früher Minimalismus“. Dieser will die Auflösung der Machtstruktur in der Musik.

Auch wurden Conrad die Tapes aus den 60ern zugespielt. Er entschied sich, diese zu veröffentlichen. Le Monte prozessierte dagegen mit dem Anspruch, der Komponist zu sein. Aber gegen das Argument der De-Komposition, dass es also gerade nicht um einen Urheberanspruch ging, habe er keine Chance gehabt.

Conrad wollte schon von Anfang an als Künstler unabhängig sein. Das hieß, so billig wie irgend möglich zu leben, wenig zum Wirtschaftskreislauf beizutragen oder aus ihm heraussaugen zu müssen, sich mit bescheidensten Büroteilzeitjobs durchzuschlagen: für die Entwicklung seiner künstlerischen Unabhängigkeit ein unabdingbarer Einstieg.

Später lehrte er an Colleges. Über den New Yorker Underground ist er zur Filmerei gestoßen. Wilde, abgefahrene Musik und Filme wollte er machen. Auf Karriere, Geldmacherei und Komposition hatte er keine Lust. Er wollte nur mit den schlechtesten Instrumenten spielen.

Immer wieder ist dem Film zu entnehmen, dass sein Werk total unübersichtlich sei und dass an vielen Orten noch vieles lagere.

Es gibt Ausschnitte aus „Flicker“, womit er auf Anhieb die Kunstwelt auf sich aufmerksam machte, verunsicherte und entzweite.

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