The Killing of a Sacred Deer

Horror der bürgerlichen Existenz.

Stilistisch konsequent (Kamera, Score, Acting) tischt uns der Grieche Yorgos Lanthimos (The Lobster: eine unkonventionelle Liebesgeschichte) eine neue Horrorgeschichte auf, diesmal hochglanzamerikanisch im Vergleich zum noch eher kruden Lobster.

Lanthimos zerstört, wie wenn einer mit harten Fingernägeln bei einem Rolls Royce den Lack zerkratzt, die makellose bürgerliche Welt des Haushaltes der Arztfamilie bestehend aus Nicole Kidman als Anna Murphy, Colin Farrell als Steven Murphy, ihres Sohnes Bob (Sunny Suljic) und ihrer Tochter Kim (Raffey Cassidy), indem er Martin (Barry Keoghan) dort auftauchen lässt.

Mit Martin hat es eines besondere Bewandtnis. Sein Vater ist bei einer Operation, die Steven an ihm vorgenommen hat, gestorben. Steven behauptet zwar, dass in solchen Fällen generell der Anästhesist schuld sei, also sein Kollege und guter Bekannte Matthew (Bill Camp).

Eine prima zu erinnernde Szene, die offenbart, wie Lanthimos inszeniert, zeigt die beiden befreundeten Ärzte nach einer Operation durch einen langen Flur des Krankenhochhauses gehen. Dieses steht in Cinncinnatti, wo der Film gedreht wurde. Die Kamera, die sich nie auf Augenhöhe der Darsteller befindet, und die immer sowohl Boden als auch Decke der Räume zu erfassen versucht, oder beim Außendreh sowohl Straße als auch Himmel, fliegt über deren Köpfen vor ihnen her (sie liebt aber auch die Gegenbewegung oder die Bewegung auf zwei sich nähernde Protagonisten zu, um sie an einer Biegung abzuwarten und dann hinter ihnen her zu schweben) oder nimmt die Position ein, die Raumüberwachungskameras gerne haben.

Das Gespräch der beiden geht über Uhren, wie tief hinunter sie wasserdicht seien, was besser sei, Leder- oder Metallarmband, das sind ihre ausführlich behandelten Themen nach einer anstrengenden Herz-OP.

Die Uhr wird eine weiter Rolle spielen bei der Charakterisierung des Verhältnisses von Steven zu Martin. Dieses bleibt vor der Familie vorerst geheim. Aber Martin drängt immer mehr zur Familie. Steven stellt ihn den Familienmitgliedern vor. Martin freundet sich an mit Bob und Kim.

Lanthimos klaubt wie mit einer Pinzette Themen hervor, dreht und wendet sie vor dem Zuschauer als etwas ganz Besonderes, so die erste Blutung von Kim oder das Thema Ejakulation, Mannwerdung, Haare unter der Schulter und an der Brust zwischen Martin, Steven und Bob, dem jüngsten in der Familie, während Kim schon 14 ist und Martin sogar 16. Der ist eine ganz spezielle Figur mit einem höchst undurchdringlichen Gesicht, eine Haltung eher wie ein Stier, der gleichzeitig zu einer Art Gutmütigkeit neigt, der nicht leicht zu vereinnahmen ist, der durch das Leiden am frühen Tod seiner Vaters, vielleicht auch dadurch, dass er mit seiner Mutter zusammenlebt, sich als etwas Besonderes fühlt, nicht als einer wie alle anderen, auch mit einer besondern Mission, wie sich herausstellen wird.

Diese besondere Mission ist nichts Schönes. Die fängt an, das geordnete und geplante Leben der Arztfamilie zerstörerisch aufzuwühlen. Martin gibt zu verstehen, dass er über übersinnliche Kräfte verfügt, er prophezeit Horror und Horror tritt ein.

Der Horror nimmt einen Verlauf, der ihn zwar beendet, aber irgendwie auch einfach auslaufen lässt. Das mindert nicht die superelegante Qualität der Kinoschrift von Lanthimos und seinem hervorragenden Team, die den Kinofreund zum Schwärmen bringen kann.

Lähmung der bürgerlichen Oberschicht, die offenbar nur mit ihrem eigenen Wohlergehen und der Einrichtung im großzügigen Landhaus beschäftigt ist.
Destruktion der schematischen Lebensweise der bürgerlichen Oberklasse, der Ärzteklasse, der Götter in Weiß: Götterdämmerung. 5-Sterne-Horror.

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