Zeit für Stille

Die Befürchtung, die sich nach ein paar Minuten einstellt, es könnte sich über einen Laberfilm zum Thema Stille handeln, verflüchtigt sich zusehends in einer geschickten Mischung aus meditativen Bildern mit Dezibel-Angabe aus der Natur, aus Innenräumen und konterkarierend dazu aus Zivilisationslärmbildern und dazwischen immer wieder Äußerungen von Lärmforschern, Wissenschaftlern, einer Umweltpsychologin, Psychiatern, Medizinern, Mönchen, Autoren, Musikern, eines Bioakustikforschers, eines Umweltforschers, mit Menschen, die sich professionell mit dem Thema befassen, die zu einer inspirierenden filmischen Fibel werden zum Thema Lärm, Geräusch und Stille.

Sicher könnte Patrick Shen auch 81 Minuten lang nur ein meditatives Bild auf die Leinwand projizieren bei niedrigstmöglicher Dezibelzahl, aber im Kino macht selbst eine noch so gut abgedichtete Klimaanlage einen Dauerlärm; der fällt in einem Film zum Thema Stille besonders auf.

Die Statements der Fachleute sind jedoch nicht so, wie es in Ausschnitten aus Fernsehshows zu sehen ist, nämlich im Stil des Individualismus, der anderen seine Meinung aufdrücken will. Es sind zurückhaltende Bemerkungen, die anregend wirken.

Es geht um die Funktion der Töne, des Gehörs, das als Sinnesorgan ursprünglich überlebenswichtig war für den Menschen, der in der Natur gelebt hat, und so Gefahren erkennen konnte und auch darum, dass moderner Großstadtlärm diesen Sinn abstumpft, dass er krank machen kann oder dass er, wie am Beispiel einer Schule gezeigt wird, an der alle paar Minuten auf Fensterhöhe eine S-Bahn-vorbeirauscht, zu deutlichen Lernverlusten bei den Schülern führt.

Oder dass die Ruhe in der Natur, im Wald das Immunstystem stärkt, weniger empfänglich für Krankheiten macht.

Ein kleiner durchgehender Handlungsfaden ist der junge Manne, der zu Fuß und ohne ein Wort zu sprechen, Amerika durchquert. Er teilt sich mit Schreibtexten mit und erinnert an das Experiment der drei Schwarzwälder Jungs in Drei von Sinnen.

Es gibt Einblicke in das Leben von Mönchen, die mit der Stille arbeiten, Benediktiner oder Zenmönche in Japan. Beeindruckend sind die Bilder von einer Gedenkminute in einem mehrere Etagen hohen Büro- und Shoppingkomplex, auf dem überall und auch dicht auf den Rolltreppen die Menschen sich zu einer Schweigeminute einfinden.

Das berühmte Stück von John Cage 4.33 Sekunden. 4.33 Sekunden gibt ein ganzes Orchester mit Dirigent keinen einzigen Ton von sich.

Beim Verlassen des Kinos wird mir, wie ein LKW mit bemerkenswerter Dezibel-Zahl an mir vorbeibraust, bewusst, wie ich mich als Stadtmensch gegen solche Geräusche immunisiere, sie verdränge, indem ich so tue, als nehme ich sie gar nicht wahr.

Interessant ist auch der Befund anlässlich der stummen japanischen Teezeremonie, dass das Nichtsprechen die sozialen Unterschiede der Menschen aufhebt. Also: in der Stille sind wir alle gleich. Das Ohr eröffnet uns den Reichtum des Seins, schafft eine wichtige Verbindung zur Welt. Fazit: wir sollten öfter schweigen und uns Stille erlauben.

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