Daniel Barenboim oder die Kraft der Musik (BR, Dienstag, 7. November 2017, 22.30 Uhr)

Bescheidenheit

ist eine Devise von Daniel Barenboim. Aber nicht im Anspruch an die Kunst.

Dieser Fersehfilm von Sabine Scharnagl (Redaktion Bettina Häusler) über den berühmten Dirigenten und Pianisten hat eine prima Gewichtung mit einem gut genießbaren Verlauf.

Zuerst geht es um das politische Denken Barenboims. Die verfahrene Situation im Nahen Osten treibt ihn, den Israeli, der auch die palästinensische Staatbürgerschaft (nebst der argentinischen und der spanischen) hat, um. Er weiß, mit klassischer Musik kann er den Frieden nicht herstellen. Aber mit seinem Orchester des west-östlichen Diwans, das Musiker aus aller Herren Länder, vor allem des Nahen Ostens vereint, hat er es immerhin bis zu einem Konzert in Ramalla geschafft; das war 2005.

Ein weiterer Einstieg in den Film ist der ovale Konzertsaal von Frank Gehry der Akademie in Berlin, der Barenboim eine Herzensangelegenheit ist. Durchaus auch politisch gedacht.

Nur über menschliche Brücken, die in einem Orchester automatisch entstehen, kann Verständnis geschaffen werden. Aber die politische Situation in Israel/Palästina hat sich drastisch verschlechtert. Jetzt kann Barenboim gerade einen Workshop im kleinen Kreis in Ramallah geben. Heute dominiert dort die Verzweiflung.

Barenboim hält nicht mit Kritik an der israelischen oder palästinensischen Regierung zurück; er versteht nicht, wieso kaum einer in Israel auf die Idee kommt, dass die palästinensische Gewalt etwas mit der Besetzung zu tun haben könnte; aber er schürt keine Feindbilder. Da könnten sich viele ein Beispiel nehmen. Wenn mehr Menschen so dächten wir er, auch wenn nicht jeder ein grenzüberschreitendes Orchester gründen kann, aber wenn jeder in seinem Bereich auch nur ansatzweise so über den Tellerrand seines Berufes hinaus denken würde wie er, könnte sich vielleicht doch mehr bewegen auf der Welt.

Nach der nahrhaften politischen Message wendet sich der Film der Biographie zu. Barenboims Anfänge in Buenos Aires (die ersten 9 Jahre), das er als eine tolerante Stadt lobt. Seine Zeit als Wunderkind – sowohl als Dirigent als auch als Pianist – die ihn schnell nach Europa und dann nach Israel führt, wo er zehn Jahre lebt.

Dann die Weltkarriere. Um endlich in Buenos Aires vierhändig mit der anderen weltberühmten argentinischen Pianistin Martha Argerich zu spielen. Und auch den Tango spielt er.

Seit 25 Jahren ist er in Berlin als Dirigent der Staatskapelle. Jetzt am 3. Oktober war Wiedereröffnung der Staatsoper unter den Linden mit dem Perlenfischer von Bizet in der Regie von Wim Wenders.

Sabine Scharnagl nutzt viele Gelegenheiten, um Barenboim direkt in die Kamera erzählen zu lassen und seine Gedanken mit dem Zuschauer zu teilen; sie fügt wohldosiert nur wenige Statements von anderen Musikern, Sängern, Funktionären ein und auch Archivausschnitte aus Film und Foto setzt sie sparsam ein.

Scharnagl schafft es, ein spannendes und plastisches Porträt dieses Menschen zu schaffen, der selbst hinter der Kunst zurücktritt, der aber auch sagt, dass er Glück gehabt hat, der dieses Glück unermüdlich packt und vor nichts mehr Angst hat als vor Routine – dann würde er sofort aufhören. Einen Satz, der in Biopics oder Lebenslinien nicht allzu oft vorkommt. Aber Barenboim ist ein ganz Großer, hors classe. Weil er selbst so bescheiden ist.

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