Victoria & Abdul

Perfektes Ausschlachten eines großen Emotionsgehaltes.

Britische Spezialität, angekündigte Süßspeise, victorianische Romcom gekonnt durch und durch, die ihre Spannung und ihr Rührpotential meisterhaft und ohne jeden Kitsch aus der Einsamkeit einer Königin, der Ausdauerregentin Victoria (über 60 Thronjahre) in einem erstarrten, opportunistischen Hofsstaat und ihrer Begegnung mit einem einfachen jungen indischen Muslim, Abdul, bezieht.

Nach einer wahren Geschicht – ‚großenteils‘, wie es nach dem Titel heißt. Was die Geschichte nicht hergibt, wird vom Filmkonditor Stephen Frears (Florence Foster Jenkins, Lady Vegas) furios zu einem zwingenden Ganzen verbunden nach dem Drehbuch von Lee Hall nach den Aufzeichnungen von Shrabani Basu.

Frears arbeitet mit ausgesuchten Protagonisten, Judi Dench als Victoria und Ali Fazal als der junge Inder Abdul.

Victoria begegnen wir zuerst in einer recht ironischen Szene, ein Klumpen Mensch liegt in einem riesigen Bett unter einem Haufen Bettwäsche und Decken. Die Königin soll aufstehen. Wie die Queen von zwei Zofen aus der liegenden in die am Bettrand sitzende Position gehievt wird, ist so ein Detail, was in seiner mechanischen Komik sich einprägt.

Derweil geht Abdul in Agra in Indien, das seit 25 Jahren britische Kronkolonie ist, seiner Arbeit nach, leichten Ganges schwebt er im Gefängnis ein. Dort führt er Buch über die Arbeiter, die Teppiche knüpfen, ein gehobener Job. Ein Schreiberjob. Das wird bei einem der ersten Gespräche mit der Queen zu Klärungsbedarf führen, da sie versteht, er sei Autor.

Weil ein Teppich aus der Gefängnismanufaktur der Königin gefallen hat, soll eine Delegation aus zwei Mann nach Britannien fahren und der Königin einen Mohur, das ist eine Goldmünze, überreichen.

Frears erzählt leichthändig und zügig, die beschwerliche Schiffahrt nach Indien verkürzt er auf wenige Sekunden. Schon sind Abdul und sein Kollege in England angekommen und werden am Hof instruiert, wie sie die Münze zu überreichen haben.

Das nutzt Frears, um an Details die Denkweise an so einem Hof und auch die Missachtung indischer Eigenarten zu zeigen: die beiden Inder werden in faschingstaugliche Kostüme, die die Hofschneiderei eigens anfertigt, gesteckt, nach dem Geschmack des Hofes und nicht nach der Realität aus Indien.

Wobei der Film selbst sich bescheinigt, es damit auch nicht zu genau zu nehmen, sich Freiheiten zu erlauben, zum höheren Genusse der Geschichte und da es sich von der Erzählweise her eh um ein schier unglaubliches Märchen handelt, was das Märchen ja so eindrücklich macht, dass es immer nach einer wahren Begebenheit sei.

Hier ein Märchen nicht aus Tausenduneiner Nacht, eines, was noch viel sensationeller und unglaublicher ist, vom Hofe der strengen Königin Victoria, wobei es allein schon eine Wonne ist, Judi Dench bei der Darstellung zuzuschauen.

Dann die Übergabe und der verbotene Blick von Abdul zur Königin, die ihn wahrnimmt. Der Wunsch der Königin, Abdul und seinen Kollegen in der Nähe zu haben.

Das unglaubliche Märchen entwickelt sich. Bald wird Abdul Victorias Lehrer, ein Munshi, unterrichtet sie in arabischen Schriftzeichen, lehrt sie Hindu und Urdu, bringt ihr islamische Weisheiten bei, wohldosiert.

Als Gegengewicht gegen die sich stärkende Zuneigung, die victorianisch-puritanisch bleibt, entwickeln sich am Hofstaat im direkten Umfeld der Königin die Intrigen. Einmal sieht die Queen sich sogar einem Aufstand ihres Hauspersonals gegenüber, den sie resolut erstickt mit der Aufforderung, wer kündigen wolle, der solle es ihr ins Angesicht sagen.

Es sind die Details, die die Perfektion von Frears Kinoerzählung krönen, scharfsichtig-komisch, einmalig und zum glaubwürdigen Märchen machen.

Ein kleiner Erzählstrang ist ihre Auseinandersetzung mit dem Hofarzt, dem sie, wie um ihn zu beruhigen, kundtut, sie habe am Samstag Vormittag „verdaut“, da sie offenbar gelegentlich an Verstopfung litt. Zuckergusskino aus feinster Zuckerwatte. Beim Ferienaufenthalt in Florenz singt Puccini himself eine Arie aus Manon Lescaut über eine unmögliche Liebe. Das lässt die Queen nachdenklich zurück.

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