Demokratie auf Ungarisch (ARTE, Dienstag, 26. September 2017, 23.50 Uhr)

DIE STADT IST FÜR ALLE DA
ZIVILER UNGEHORSAM GEGEN UNRECHTSGESETZ

Es geht um Widerstand gegen eine Gesetzgebung, die dem natürlichen Rechtsempfinden widerspricht und welche in diesem Falle Familien, die keine Wohnung haben, die Kinder wegnimmt und in staatliche Obhut gibt.

Dieser Film von Laszlo Bihari (Dramaturgie: Sandor Szöke, Rdaktion SWR/ARTE: Bernd Seidl) porträtiert die ungarische Aktivisten-Gruppe „Die Stadt ist für alle da“ in ihrem Einsatz für Obdachlose.

In Ungarn stehen 400’000 Wohnungen leer, aber Zehntausende von Menschen sind obdachlos. Sie dürfen nicht auf der Straße leben, das ist gesetzlich verboten. Wenn eine Familie obdachlos wird, so werden ihr von Staates wegen die Kinder weggenommen und in Heime gegeben. Dagegen wendet sich der Widerstand der Aktivistengruppe.

Der Film kann auch gesehen werden als ein Lehrbeispiel für passiven Widerstand und zivilen Ungehorsam. Und dass durchaus etwas zu erreichen ist. Zwar nicht immer. Bei Parlamentarieren dürfen die Aktivisten erst nach lächerlichem Verfahrenshickhack sprechen, aber das Parlament lehnt eine Änderung dieser menschenunwürdigen Gesetzgebung ab. Immerhin erreicht die Gruppe für einige Obdachlose die Chance, in heruntergekommenen Häusern zu wohnen, wenn sie renovieren.

Diese Gesetzgebung verstößt gegen das gesunde Rechtsempfinden der Menschen. Es ist eine Unrechtsgesetzgebung. Vielleicht ist im ehemalig kommunistischen Ungarn das Rechtsempfinden gerade bezüglich Obdachlosigkeit stärker ausgeprägt als bei uns, denn im Kommunismus gab es das Phänomen nicht.

Aber die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt wird auch bei uns immer krasser, ein immer größerer Teil des Einkommens vieler Leute geht für die Miete drauf, diese steigen in den Himmel – und das hat auch bei uns mit der Gesetzgebung zu tun; insofern ist die Dokumentation auch für uns von Interesse.

Es gibt inzwischen in München eine Gruppierung von Aktivisten, die sich des Themas Wohnungsnot annimmt. Der Staat reagiert sonderbar, wie kürzlich zu lesen war, dass eine fingierte Hausbesetzung dazu geführt hat, dass der Staat ein SEK von 80 Mann losgeschickt habe – gleichzeitig hat eine Münchner Stadtratsdelegation sich in Zürich informiert und dort gehört, wie positiv sich die Hausbesetzungen auf die Stadtentwicklung ausgewirkt haben. Oder in München vor einiger Zeit die Guerillaaktionen von Goldgrund, die den Bau von Luxuswohnungen im letzten Moment verhindern konnten.

Unrechtsgesetzgebung, die gegen das Rechtsempfinden spricht, auch bei uns: die Finanzierung des Gemeinschaftswerkes öffentlich-rechtlicher Rundfunk mittels Haushaltszwangsgebühr, die ein Umverteilungsmotor im Lande ist, die zu Lasten der Einkommensschwachen und zu Gunsten einkommensstarker Haushalte geht – immerhin ein Betrag von um die 9 Milliarden Euro! Das ist „eines liberalen Staates unwürdig“, wie in der NZZ zu lesen war (Michael Schönenberger in der internationalen Ausgabe vom Samstag, 16. September 2017).

Wobei eine Sendung wie diese zwar dieses Unrecht nicht aus der Welt räumt, aber Wege zu einem passiven Widerstand und ziviliem Ungehorsam aufweist und insofern einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gut ansteht. Aber dass die Sendung um Mitternacht herum versteckt wird, das ist wiederum oberpeinlich.

Antwort einer Aktivistin von „Die Stadt ist für alle da“ auf die Frage „was ist Ihr Job?“ – „Schwarzarbeit!“

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