Das System Milch

Milch macht Chinesen größer.

Das ist die Werbestrategie der europäischen Milchindustrie (Umsatz: 100 Milliarden Euro mit 200 Millionen Tonnen Milch und Milchpulver), um den Absatz ihrer Produkte in Asien anzukurbeln und weiter anzuheizen. Denn ihr Motor ist kapitalistische Wachstumsideologie. Sie glaubt, nur durch Wachstum und dauernde Optimierung der immer kurzlebigeren, zweckoptimierten Hochleistungskühe, der Prozesse und Produkte, könne sie überleben.

Das hat einen Rattenschwanz von Folgen. Denen geht Andreas Pichler in seiner Dokumentation weltweit nach, setzt dieser Ideologie aber speziell mit dem Tiroler Ökobauern Alexander Argetle, der tagelang seinen Kühen beim Weiden zuschauen könnte und Selbstvermarkter seiner Produkte ist, ein schlagkräftiges Argument entgegen.

Der Slogan der exportierenden europäischen (und mit 45 Milliarden Euro hochsubventionierten) Milchindustrie, dass die Chinesen, wenn sie Milch in ihren Ernährungsplan aufnehmen würden, größer würden, wirft sogleich die Frage nach der Ernährungssinigkeit von Milch auf. Die weitherum beachteten Studien von Walter Willet lassen Zweifel aufkommen.

So stehen sich zwei Positionen konträr gegenüber: die Milchwirtschaft, die auf Wachstum setzt und die Wissenschaft, die zu Erkenntnis kommt, dass Milch nicht so viel Anteil an der menschlichen Ernährung haben soll, dass in Gegenden mit hohem Milchkonsum bei Erwachsenen häufiger Knochenbrüche zu beobachten sind und auch auf die karzinogene Eigenschaft von Milch, besonders hinsichtlich Prostatakrebs, wird hingewiesen.

Die Folgen dieser kapitalistischen, dazu noch subventionierten Wachstumsideologie der industriellen Landwirtschaft sind gravierend: Stress für die Tiere, Entfremdung von der Weide, Ernährung mit genveränderten Soja-Beimischungen, die wiederum zur massiven Rodungen im Amazonasgebiet führen, das Problem mit der Gülle und dem Methanausstoß, die Hochzüchtung von Kühen, die vor lauter Euter kaum mehr gehen können (Bilder von der Züchter-Messe Fiera die Cremona), Stress für die Bauern, die zu Unternehmern werden und Tag und Nacht nur noch an die Optimierungen denken (Peter Mauritzen, Dänemark), die brutal verkürzte Lebensdauer der Hochleistungskühe, die nur noch Nummern sind.

Als weitere verheerende Folge der Milchüberproduktion und des Wachstumswahns der europäischen, subventionierten industriellen Landwirtschaft kommt der Export von Milchpulver zu Dumpingpreisen nach Afrika hinzu, womit ein direkter Zusammenhang zu den Ursachen der Flüchtlingsbewegungen in Europa hergestellt wird.

Als Gegenthese schlagen Studien von Weltbank und UNO die Förderung kleinteiliger Landwirtschaften vor (Beispiel einer Molkerei im Senegal, die schlecht aussgestattet ist und die örtliche Produktion beleben möchte, preislich aber nicht konkurrenzfähig ist mit den europäischen Subventionsimporten). Diese Studien sind nicht im Interesse der kapitalistischen Agrarindustrie.

Die Dokumentation ist von Pichler sehr persönlich gehalten. Er hat durch seine Herkunft einen Bezug zur Landwirtschaft, hat als Junge selber Kühe gehütet und hat in Jakob Stark einen beachtlichen Kamermann, der vereinnahmend klare Bilder bereitstellt.

Ein weiterer, gelungener Film in einer ganzen Reihe, die uns etwas über die Herkunft unserer Nahrungsmittel und über die Folgen von deren Herstellung und die Perspektiven hinsichtlich einer langfristigen Sicherstellung der Ernährung der Menschheit erzählen und die inzwischen auf einem Extraregal als Grundausstattung an Allgemeinwissen eines jeden Haushaltes, der sich auf dem Ernährungssektor weiterbilden und verbessern möchte, gehören – im Sinne einer Verbesserung der eigenen Lebensqualität.

Perverses Symptom für das grundsätzliche Übel in der Landwirtschaftspolitik: es gibt inzwischen Bauern, die mit Gülle mehr Geld verdienen als mit Milch.

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