Kein Blatt vor den Mund oder wie Susanne Kleinke die Bundestagswahl beeinflusst.
Wir schaffen das, ist der berühmte Merkel-Satz zur Flüchtlingskrise, der sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hat. Jetzt, mit dem einsetzenden Wahlkampf hat die Kanzlerin eine Modifikation davon aus dem Kampferschrank geholt, dass das zu schaffen sei.
Thematisch geht es um das vollmundige Versprechen in Richtung Vollbeschäftigung. Was die Kanzlerin dabei nicht sagt, welcher Art die Jobs seien, die die Statistik so großartig erscheinen lassen. Wie viele Jobs dabei sind, von denen die Beschäftigten, wie die Protagonistin Susanne Kleinke sagen „15 Stunden schuften und Scheiße fressen“.
Die Zahl der anormalen Jobs ist erschreckend hoch. Die Schätzungen gehen bis zu einem Drittel der Beschäftigten. Anormale Jobs sind Jobs, von denen niemand eine Familie ernähren, einen anständige Wohnung mieten und angemessen fürs Alter vorsorgen kann. Es sind Jobs, deren Lohn nicht zum Leben reicht. Diese Jobs sind ein schwerer Defekt unserer Luxusgesellschaft. Darauf legt dieser engagierte Wahlthriller und 1a-Genrefilm von Andreas Arnstedt seinen Finger, auf einen wunden Punkt in unserer Gesellschaft, den die Bundesregierung in Berlin nicht wahrhaben will.
Susanne Kleinke (Marie Schöneburg) ist bei der Zeitarbeitsfirma TfT beschäftigt und hat eben die Kündigung erhalten. Sie will sich beim Chef beschweren. Dieser ist ein Angeber und hat ein Buch zum Thema Beschäftigung herausgegeben. Deshalb ist er in die Talkrunde „6 gegen 90“ beim Moderator Frederic Neunzig (Konstantin von Jascheroff) eingeladen. Neben ihm finden sich leicht identifizierbare Luxuspolitiker aus Berlin.
Susanne ist außer sich, lässt sich nicht mehr bremsen, dringt in die Talkshow ein, beschimpft ihren Chef. Die CDU, die sich ihrer Sache noch nicht so ganz sicher ist, findet, die Kanzlerin soll sich die Putzfrau für ihren Wahlauftritt bei Neunzig zunutze machen, um zu zeigen, dass die Kanzlerin auf der Seite der Verlierer ist, davon sei das Land ja voll.
Allerdings macht Kleinke sich selbst diesen Auftritt, den sie zuerst gar nicht will, auf ihre Weise zunutze und bringt die Republik an den Rand einer existenziellen Krise. Mit einer Pistole an der Schläfe der Bundeskanzlerin will sie die Politiker erpressen. Bei den Folgen dieses Vorganges lässt Drehbuchautor Andreas Arnstedt seinen Intrigen- und Terrorfantasien, die in der Politik keineswegs abgwegig sind, freien Lauf.
Als Regisseur führt Arnstedt eine ausgezeichnete Dialogregie. Das zeigt sich leicht, wenn man mal nur zuhört. Immer bekommt man das Gefühl, es geht gerade um etwas Wichtiges, es wird etwas verhandelt.
Diese Konzentration auf den (pointengespickten) Dialog hat zur Folge, dass zumindest für einen, dem die Medienpolitiker aus Berlin nicht vom häuslichen Fernsehkonsum vertraut sind, diese glaubwürdig rüberkommen. Denn die Masken sind stimmig und die Darsteller konzentrieren sich auf das Transportieren der Message ihrer Figuren und nicht auf das Imitieren von deren Macken. Das gibt dem Film Power, das macht ihn ungewöhnlich, das macht ihn heutig, brisant!
Gleichzeitig gibt Arnstedt ein Votum ab für das bedingungslose Grundeinkommen, ein immer drängenderes Thema. Zu einem Stück wird der Thriller aber auch ein Revenge-Movie des kleinen Mannes an einer arroganten Politikerklasse, die jeden Draht zum ausfransenden Teil der Gesellschaft und jedes Bewusstsein und Mitgefühl dafür vermissen lässt. Susanne: Ihr sollt einfach mal spüren, wie es ist, wenn man in der Scheiße sitzt.