Dil Leyla

Da stockt einem der Atem.

Ein Film, der dem türkischen Präsidenten Erdogan wenig schmecken dürfte.
Denn er handelt von einer Mitbürgerin, die ihre kulturelle Bildung in Deutschland geholt hat und die in der Türkei als Bürgermeisterin der Stadt Cizre zu Frieden und Wohlstand verhelfen will.

Ihr Motiv ist tief in ihrer Kindheit begründet. Damit fängt der Film an, mit Dokumentaraufnahmen von 1993, wie türkische Polizei mit Panzern die Menschenmassen in Cizre jagen, die dort gerade Nouruz feiern.

Leyla Imret, so ihre bürgerlicher Name, wird daraufhin als kleines Mädchen zur Schwester ihres Vaters nach Deutschland in Sicherheit gebracht. Es herrscht im Osten der Türkei der Kriegszustand gegen die Kurden. Der Vater von Leyla wird bald darauf ermordet; er war für sie als Älteste eine unbeirrbare Orientierungsfigur, er nannte sie Dil.

21 Jahre lang wächst Leyla in Bremen auf bei ihrer Tante und deren Familie, die ebenfalls vor dem Kriege gegen die Kurden geflüchtet sind. Dann fängt Leyla an, sich für ihre Familiengeschichte zu interessieren. Ihr Vater war ein kurdischer Kämpfer gewesen.

Jetzt hält Leyla, die immer ein Lücke in ihrem Leben gespürt hat, nichts mehr in Deutschland. Sie kehrt zurück nach Cizre, um dort etwas zu tun, um dort zum Aufbau und zur Entwicklung und zum Frieden beizutragen. 2014 wird sie zur Bürgermeisterin gewählt.

Ein Film, in den die Politik, die von allen guten Geistern verlassen scheint, massiv eingreift. Es sollte ein Film über die umwerfend attraktive Leyla werden, ein Portrait über eine Bürgermeisterin im Osten der Türkei, die aus der Stadt, die in kargem, kinomalerischem Hochland an einem Fluss liegt, eine moderne City macht.

Eine neue Schlachterei soll gebaut werden, automatisiert und hygienisch, Pärke angelegt, auf dem Bazar soll es sauberer werden.

Die Filmemacherin Asli Özarslan begleitet Leyla ab März 2015, nachdem diese ein Jahr zuvor gewählt worden ist. Sie ist bei Ortsbegehungen zugegen, bei Besprechungen, bei öffentlichen Auftritten und auch bei ihr zuhause bei Mutter und Geschwistern. Und sie begleitet sie nach Bremen zu einer Hochzeit. Wodurch es einen schmalen Einblick in ihr vergangenes, deutsches Leben gibt. Und sie ist bei den türkischen Parlamentswahlen dabei, wie die besonders in Kurdistan fieberhaft verfolgt werden mit dem großen Erfolg für die HDP und deren Einzug ins Parlament.

Lang hält das politische Glück nicht an. Im nahen Syrien tobt der Krieg, die Weltmachtpolitik stiftet Unruhe in der Region. Die Angst verschiedener Potentaten vor einem kurdischen Staat, vor kurdischem Selbstbewusstsein zündelt, lässt die Lage explosiver werden. Es kommt zu Anschlägen. Kämpfer ziehen sich wieder in die Berge zurück und lassen sich Bärte wachsen.

Es folgen Ausganssperren, Stromausfälle, 85-tägige Blockade und 300 Tote, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das Filmteam muss abreisen. Es gibt gespenstische Sequenzen über die Versuche, aus Bremen, Kontakt per Skype oder Voicemail zur untergetauchten Leyla zu finden, der ein TV-Interview als Aufruf zum bewaffneten Kampf fehlinterpretiert wurde. Es folgt die teilweise Zerstörung von Cizre. Das alles wenige Flugstunden von uns entfernt.

Schließlich kann das Filmteam mit einer EU-Delegation wieder einreisen, die Trümmer filmen, den Rückfall in eine Zeit von vor 20 Jahren. Leyla will nicht aufgeben, auch wenn sie vom Innenminister ihres Amtes enthoben sei, sie sagt, die Bürger haben sie gewählt und nur sie können sie wieder absetzen. Hier pfeift der raue Atem der Geschichte von der Leinwand. Die Geschichte ist lange noch nicht zu Ende.

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