Ich wünsch Dir ein schönes Leben

Ein cinéma francais féminin, das dem Wahrheitsgehalt von Gefühlen auf den Zahn fühlt und dazu ein Experiment wagt, dieses allerdings wiederum als glaubwürdig realistisch tarnt.

Allein schon die Funktion von Dünkirchen ist wahrheitsevident, es gibt die Stadt, sie ist selten im Kino zu sehen und sie ist einer der Spielorte.

Die Hauptfigur, Elisa Bérard (Céline Sallette) ist Physiotherapeutin, lebt mit ihrem Sohn Noé (Elyes Aguis) in Dünkirchen. Vater Alex (Louis-Do de Lencquesaing) lebt in Paris. Noé hat erstaunlicherweise eine Affinität zum Maghreb, vom Aussehen her, aber auch im Umgang mit vielen seiner Mitschüler, die von dort stammen, er mag kein Schweinefleisch, das belegt eine Szene mit Pizza, wie er die Schinkenstückchen einzeln und mit Verachtung rausstochert.

Der Film fängt an wie ein Themenfilm: Elisa sitzt einer Frau von einer Behörde gegenüber. Sie möchte Auskunft über ihre leibliche Mutter, denn sie ist ein Adoptivkind, bei der Geburt freigegeben.

Ounie Lecomte (Ein ganz neues Leben), die mit Agnès de Sacy auch das Drehbuch geschrieben hat, verfolgt diese Suche allerdings nicht mit detektivischer Penetranz. Sie nimmt sich genügend Zeit, das Leben von Elisa zu schildern. Es gibt viele Szenen in der physiotherapeutischen Praxis. Das beobachtet die Kamera ganz genau, wie Haut und Muskeln des Patienten mit den Händen der Therapeutin behandelt werden. Aber die Grenze zum Schulungsfilm wird nicht überschritten.

Manchmal geht die Kamera cool ins Unscharf, denn es geht gewiss nicht um physiotherapeutische Details. Es geht um die Gefühle zwischen den Menschen.

Eine neue Patientin meldet sich bei Elisa. Diese ist eine feste Person mit einem Gesichtsausdruck, der auf ein schweres Leben und ein ebensolches Gemüt schließen lässt.

Es ist Annette, die in der Schule von Noé als Köchin und als Reinigungskraft arbeitet. Sie lebt mit ihrer Mutter zusammen und hat noch einen Bruder. In der Schule verspottet Noé sie als Bulldogge, was nicht zu ihrer Gutherzigkeit passt.

Immer wieder versucht Lisa ihrer Mutter zu finden. Das geht nur über die Vermittlung des Amtes und die Mutter muss der Tochter erst einen Text schreiben und sich zu erkennen geben. Dann steht es Lisa frei, den Kontakt zu suchen.

Es gibt eine Party der Schüler und Lisa geht tanzen, verbringt eine Nacht mir ihrem Kollegen Fabio. Noé reißt aus. Es gibt Krisenmomente, einen Besuch beim Vater in Paris.

Ein Indiz, dafür, dass Lecomte den Film als Experiment betrachtet, ist möglicherweise auch die Vertonung, wie anfänglich eher nur begleitende Klavierakkorde das Spielerische an der Versuchsanordnung betonen und wie aus dem Herumprobieren mit dem Thema Adoption eine heißere Sache wird, da geht die Musik voluminöser und temperamentvoll mit.

Die Fragen, was ist der Unterschied zwischen irgend einer Frau und der Mutter, rein physiologisch, rein taktil? Was bedeutet Berührung? Gibt es diese Mutterliebe überhaupt? Sind Biologie und Abstammung so wichtig? Lecomte tippt diese und viele andere Fragen behutsam an mit ihrem Film, der wie eine schöne Sammlung von Alltagsminiaturen sich attraktiv macht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert