Wenn es einem Filmautoren gelingt, ein Stück zu erfinden und es als real und glaubwürdig darzustellen, so entwickelt das Kino Magie. Das schafft Martin Provost erneut nach Violette und „Seraphine“.
Die Hauptfigur ist von Beruf Hebamme. So ist auch der Titel auf Französisch oder auf Englisch; den Deutschen ist offenbar ein Beruf als Filmtitel nicht zuzumuten. Catherine Frot spielt diese Hebamme namens Claire Breton. Claire steht für klar, deutlich, hell, einleuchtend. Die Namen sind kein Zufall bei Provost. Und auch der Titel kann doppelt gelesen werden: als die Übersetzung von Sage-femme mit Bindestrich als Hebamme oder wie der Titel auf Französisch geschrieben ist, ohne Bindestrich, als Sage Femme, eine Frau, die klug, weise, vernünftig, besonnen ist – gesprochen gibt es keinen Unterschied.
Oft zeigt Provost die Hebamme bei Geburten. Sieht echt aus. Ein verantwortungsvoller Beruf, dem Leben ins Sein, dem Menschen auf die Welt zu kommen verhelfen. Wobei ein eigenartiger Kontrast zwischen der Hochwertigkeit eines menschlichen Lebens, eines Individuums und dem Akt von dessen Zustandekommen im Sinne der Zeugung bestehen kann.
Im Falle von Claire war das ein schneller, unverbindlicher Vorgang zwischen zwei flüchtigen Bekannten in einer Bahnhofstoilette. Es gab eine Freundin der Mutter, die sich eine Weile um Claire gekümmert hat. Die ist aber plötzlich verschwunden. Claire ist aktuell alleinerziehend, sagt auch, in ihrem Leben sei kein Platz für einen Mann, wobei ihr Sohn Simon (Quentin Dolmaire), der Medizin studiert und plötzlich eine Hebammenausbildung machen möchte, eine Freundin hat. Seinen Vater hat Simon nicht wirklich gekannt. Der war ein Sportler, Schwimmmeister, und nach dem Karrierenende sei er rastlos in der Gegend umhergezogen.
Claire hat einen Freund, den LKW-Fahrer Paul (Olivier Gourmet), der sieht nun wirklich aus wie ein Paul schlechthin: ein Mannsstück, das einen praktischen Kleingarten pflegt, der in Europa herumfährt, der keine großen geistigen Gebäude zur Lebensverhinderung braucht, der auch kein Macho-Getue nötig hat, ein in sich ruhender, friedfertiger Mann, ausgeglichen, ein Paul par excellence.
Ferner ist die Rede von einem Violin-Lehrer, der B-Moll geheißen habe.
Jetzt meldet sich Bétrice Sobolevski. Das ist diese Freundin der Mutter, die sich sang- und klanglos aus dem Leben von Claire verabschiedet hat. Sie hat einen Gehirntumor. Sie wird gespielt vom ewigen, französischen Schauspielerinnenphänomen Catherine Deneuve, von der ich das Gefühl habe, sie habe die ewig gleiche Starfrisur und dass sie nur noch Rollen annimmt, in denen sie kettenrauchen darf. Der Eindruck kann täuschen. Aber wenn die Deneuve einmal mit verbundenem Kopf auf dem Krankenbett liegt, ganz ohne Haare als gesichtsumrandendem Opernvorhang und ohne Zigarette, so ist das für mich nur die halbe Deneuve.
Der Name ihrer Rolle war ursprünglich Sobol. Sie ist in einfachen Verhältnissen in einer beengten Conciergeloge aufgewachsen. Das hat sie mit Aufschneiderei, Rauchen, Spielsucht und Alkohol und einer Namensänderung in Sobolevski sowie Geschichten einer Abstammung von russischem Adel kompensiert.
Hier geraten zwei großartige Schauspielergrößen aneinander. Wobei das Luder, das liederliche Element vom Showwert mehr hergibt als die praktische, versöhnliche Figur von Claire. Aber ohne ihre Kompromissbereitschaft, ihre selbstverständliche Hilfsbereitschaft, weil es Bétarice schlecht geht, gäbe es ja diesen Film nicht. Sie nimmt Béatrice sogar in ihre kleine Wohnung auf und es gibt, weil auch ein Humor zur Menschlichkeit gehört, nicht nur einen Doppelknall wegen Einparkkünsten – und dann noch eine richtig launige Fahrt von Béatrice, Paul und Claire im LKW der Firma Guisnel von Paul. Sie singen von den Wölfen.
Der Film behandelt das Thema Menschlichkeit, lässt einen tiefen Humanismus spüren, der gegen jegliche Radikalität und Menschenverachtung agiert, die als menschliche Verhaltensweisen unabhängig von der Art des Zeugungsaktes von Anfang an möglich sein müssen.