Die DDR war mein Ding.
Es wird immer noch gekämpft um die Deutungshoheit der DDR.
Ein Beleg für diesen Satz ist dieser Film der Dänin Signe Astrup, in welchem sie überlebende Strukturen der DDR aufspürt, nämlich Veteranenverbände der Nationalen Volksarmee, der NVA, die nach einem Gerichtsprozess wegen einer öffentlichen Kranzniederlegung in einer von Symbolen der DDR flankierten Zeremonie wieder aus der Öffentlichkeit sich verabschieden.
Astrup trifft auf Menschen, die ihre Gründe und ihre Überlegungen hatten, warum sie die DDR gut fanden, die sich vom Idealismus, der diesem Staat zugrunde gelegen hat, haben überzeugen lassen. Es sind Menschen, die ihre Identität und ihr soziales Gefüge in ihrem Beruf als Soldat oder Offizier der NVA und auch der Stasi gefunden hatten, ihre Identität wie auch ihren Lebenssinn. Und plötzlich 1989 sollte das alles nichts gewesen sein.
Veteranenverbände und -vereinigungen sind an sich nichts Ungewöhnliches, die dürften es überall geben, wo es Armeen gibt. Nur fehlt denen aus der DDR plötzlich die Legitimation. Dabei wird deutlich, dass es durchaus unerschiedliche Richtungen solcher Verbände gibt, solche mit Nazitendenzen und eher nostalgische, weil es die Erinnerung an die Jugend ist, die Erinnernung an das, was man als Lebensentscheid getroffen und für richtig befunden hat.
Die Menschen, die sich Signe Astrup öffnen, gehören zu der non-aggressiven Sorte, vielleicht teils auch etwas gutgläubig der sozialistischen Propaganda der DDR gegenüber. Andererseits auch durchaus dankbar, wie die Neurologin, die aus einfachen Verhältnissen kam und dank der DDR studieren konnte. Wie es mit der Chancengleichheit in unserer heutigen Bundesrepublik steht, das wäre eine andere Frage.
Dass das Thema nicht erledigt ist, zeigen zwei weitere Filme, die gerade ins Kino gekommen sind, seit letzter Woche: In Zeiten abnehmenden Lichts (wobei gerade hier der Vergleich zwischen der Dokumentation und der musealisierenden Stilisierung eines Spielfilmes spannend sein dürfte; Tipp für einen Kinoprogrammabend!); mit heutigem Kinostart beschäftigt sich ein junger Filmemacher mit der Idee des Kommunismus/Sozialismus, in der Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes, ist die Internationale der musikalische Dreh- und Angelpunkt; sie wird auch hier im Film von Signe Astrup von den Veteranen gesungen; Gedankengut, was nicht aus der Welt ist, womit der Zeitgenosse sich beschäftigen muss, denn den idealen Staat haben auch wir lange nicht, trotz Irrsinnswohlstand.
Es ist vermutlich das alte Problem des Nichtdifferenzieren-Könnens: wegen der Auswüchse und der Marodheit des DDR-Systems wurde alles verdammt, wurde die DDR vollkommen in einem unblutigen Streich von der BRD übernommen. Dabei hatte die Volksarmee mehrere 100’000 Soldaten, die alle von einem Tag auf den anderen ihre identitätsstiftende Institution verloren haben, die auch keinerlei Anerkennung in der neuen Bundesrepublik erwarten konnten, denn alles DDRige war schlecht.
100’000e von Menschen, bei denen die Volksarmee ein Teil ihres Lebens, ihres Lebenswerkes war, mussten diesen Teil plötzlich löschen, als nichtexistent definieren. Das antwortet eine ehemaliger Offizier, der seine Uniform zuhause noch sorgfältig aufbewahrt, sie aber nie wieder anziehen würde, die stehe für die Hälfte seines Berufslebens. Da beschäftigt zu sein, bedeutete eine Qualifikation, bedeutete, einen guten Leumund zu haben, wie einer anderer berichtet.
Die Doku setzt sich aus Archivfootage und Propagandafilmen aus der DDR zusammen, aus Gesprächen mit Veteranen, aus heutigen Ehrenzeremonien in Uniform und Stechschritt, Kranzniederlegungen und aus militärischen Übungen sowie Einblick in das Werk eines Textilkünstler, der sich mit den Stoffen (Uniformen) der DDR textil auseinandersetzt (Ausstellung „Konfliktstoff“).
Die Begründung für ihren Film lässt Sigen Astrup Soren Kierkegaard liefern: „Verstehen muss man das Leben rückwärts, leben muss man es vorwärts“.