Cahier Africain (DVD)

Wie schon im Film über Pepe Mujica ist die Dokumentaristin Heidi Specogna zurückhaltend mit dem Auffahren von belastbaren Fakten, hier über Zentralafrika, über den Kriegsverbrecher Jean-Pierre Bemba, der Jahre nach den Verbrechen, die unter seinem totalitären Kommando 2001 begangen worden sind, vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gestellt wird.

Bemba sieht man auf indirektem Wege. Die Verhandlung vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag wird vor einem Bildschirm in einer Kirche in Zentralafrika mitverfolgt. Nachher gibt es eine Diskussion. Die Teilnehmerinnen sind beunruhigt, wie steht es um die Sicherheit der Opfer, wer sorgt für die Sicherheit der Zeugen und ein Mann regt sich auf, wie der Verbrecher im Gefängnis offenbar gut ernährt wird, so dick wie er ist.

Es gibt ein Dokument, das dem Film den Titel gibt, das ist das afrikanische Heft, es ist ein Schulfheft. Darin haben die Opfer von Bemba Passfotos von sich hineingeklebt und in Schülerschrift sind Vermerke über Alter und die begangenen Verbrechen drin. Es sind vor allem Frauen und Mädchen, aber auch Männer, die vergewaltigt worden sind.

Der Film ist in drei Kapitel eingeteilt. Sie entsprechen den Dokumentationsphasen. 2008 ist Heidi Specogna auf das Heft aufmerksam geworden. Das erste Kapitel handelt von Wunden und Narben und umfasst den Zeitraum 2011 – 2012, das zweite von Kugeln und Schubkarren, 2013 – 2014, und das dritte handelt von einem neuen Tisch von 2015.

Die durchgehende Figur, aber nicht dominant präsent, ist Amzine, die in dem Heft die jüngste war und ihre Tochter, die den Vater nicht kennt, Fane. Sie betreiben anfangs einen kleinen Kramerladen auf dem Dorf. In der zweiten Phase kommt es wieder zu Unruhen, Schießereien, Plünderungen, Flucht. Amzine muss ihre ganze Habe, die schon verpackt ist, zurücklassen.

Der neue Tisch ist das wichtigste Requisit der dritten Phase nach gelungener Flucht in den Tschad in ein Lager der UN. Dort haben die Flüchtlinge einfache Strohhütten, sie bekommen ein Stück Land und Amzine plant, so schnell wie möglich einen Laden zu eröffnen. Aber Fane will sie nicht sagen, wer ihr Vater ist, Fane ist jetzt eine junge Frau, wachen Blickes und hilft der Mutter bei der Bewältigung der alltäglichen Dinge. Irgendwann wird sie wohl die Geschichte der dreifachen Vergewaltigung ihrer Mutter erfahren.

Über das wichtige Dokument des Oktavheftes mit den Aussagen der Opfer bleibt ungewiss, ob es in den Archiven von Den Haag verrotten oder doch noch einen Auftritt ins Licht der Weltöffentlichkeit erhalten wird.

Die hier geschrieben Geschichte ist eine, die immer wieder auftaucht in verstörenden Bildern der Zustandes der zentralafrikanischen Republik, vom Hauptort Bangui kaum geteerte Straßen, eine absurde Wahl einer Übergangspräsidentin, die im knallroten Kleid wie einer Kasperlfigur wirkt und in einer schweren Limousine mitten im Elend davon braust.

Bilder einer internationalen Armee, die die Stadt schützen sollen, Flüchtlingskarawanen auf total überladenen LKWs, ein provisorisches Flüchtlingslager direkt am Flughafen, weil hier Truppen sind. Krasser Gegensatz, wenn ein High-Tech-Airbus landet und direkt neben der Piste ein Elendslager von Tausenden von Flüchtlingen sich befindet.

Die Geschichte vom Mädchen, das ein kaputtes Knie von einem Schuss hat, das endlich in Berlin operiert werden kann. Und bei der nächsten Unruhewelle wieder aufs Knie fällt. Es sieht alles so aussichtslos aus. So trostlos.

Kaum gibt es eine muslimische Rebellentruppe, stellt sich ihr eine nicht minder radikale christliche Rebellentruppe in den Weg, die Moschen zerstört, den Imam grausam lyncht. Auf der Straße liegen Leichen, kaputte Gesichter. Aber Kinder finden immer wieder Dinge zum spielen.

Es gibt eine weitere Figur, die mehrfach auftaucht. Es ist die fiktionale Figur Jamal, der hier aus juristischen Gründen und zur Sicherheit der Person nicht individualisiert wird, dessen Gesicht nicht gezeigt werden kann. Das ist der Ermittler des ICC aus Den Haag, er muss geschützt werden. Er ist bei der zweiten Vertreibungswelle schnell vor Ort und richtet ein provisorisches Verhörzimmer ein, um an die Zeugenaussagen zu kommen, so lange sie noch frisch sind. Er transportiert das Oktavheft mit den Details über die Vergewaltigungen unter Bemba wie ein Hochsicherheitsgut nach Den Haag. Das wirkt fast wieder grotesk.

Der Film ist eine erschütternde, verstörender Schilderung zentralafrikanischen Alltags.

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