Neruda

Vom Biopic zum Revengemovie.

Das Team Pablo Larraín (Regie) und Guillermo Calderón (Drehbuch) sind engagierte chilenische Filmemacher, das haben sie vor kurzem mit El Club bewiesen, in dem es um Missbrauch in der Kirche aus einer ungewöhnlichen Perspektive ging.

Auch den berühmten Dichter Pablo Neruda schildern sie aus außergewöhnlicher Sicht. Er war Senator unter dem von ihm selbst geförderten und 1946 gewählten Präsidenten Valdez. Wie dieser aus Proamerikanismus die Kommunistenhetze einführt, werden die beiden Gegner. Nur die parlamentarische Immunität schützt Neruda vor Verhaftung.

Diese Ausgangslage, wie Valdez und andere Senatoren aneinandergeraten, schildern die Filmemacher in einer turbulenten Pissoir-Szene im vielleicht protzigsten und größten Herren-Pinkelraum, der je zu sehen ward in einem Film.

Die Verfolgung durch den Staat und das Thema des Sich-Ergebens, Untertauchens oder des Fliehens ins Ausland, behandelt der Film im folgenden als eine Fantasie nach einem Buch („Der Gefallene Engel“) von Neruda (Luis Gnecco), der sich als staatlichen Verfolger einen Zivilpolizisten voller Minderwertigkeitsgefühle und mit zwei verschieden starken Augen imaginiert: Óscar Peluchonneau (Gael Garcia Bernal).

Óscar ist nicht ganz ohne Feeling für die Literatur. Das ist entscheidend. Die Auseinandersetzung ist die, was stärker ist, die rohe Staatsgewalt, wie Valdez und später Pinochet sie grausam ausüben, oder die Poesie, die Worte der Dichter. Klar, wo Neruda den Vorteil sieht.

Dieser Peluchonneau wird von der Staatsspitze persönlich beauftragt, Nerudas habhaft zu werden. Er ist stets perfekt angezogen, versucht den überzeugenden Blick aufzusetzen und Nerdua, der Dichter, der Autor, lässt ihn über Dichtung und den Dichter philosophieren, was nicht der Komik entbehrt. Er schwankt zwischen Berufsstolz und Dichterverehrung.

Neruda, der ihm immer einen Schritt voraus ist, hinterlässt Peluchonneau gerne in einem Auto oder auf einem Schreibtisch oder auf einer Schreibmaschine eines seiner Werke, will ihn so an die Literatur heranführen.

Ein Stück weit könnte es aber auch ein Revenge-Movie sein für die von der Staatgewalt erlittene Unbill. Wobei man sich fragt, ob Neruda es wirklich nötig hat, diesen Verfolger als so eitles, eingebildetes, minderwertigkeitskomplexbeladenes, stutzerhaftes Bürschen zu zeichnen, das macht doch auch Neruda ein bisschen klein („yo, el secco; „ich jagte den Adler, doch ich kann nicht fliegen“, so hinkt er der Poesie hinterher).

Der Film fängt als Literaten-Biopic an und entschwebt zusehends in die Verfolgungsbewältigungsfantasie des Dichters, wird ein Litertur-Revenge-Stück, das zum Count-Down in eine menschenverlassene, schneebedeckte Gebirgslandschaft führt, wie im Wilden Westen – und Schüsse werden auch abgegeben.

Es gibt komische Szenen, wie die Grundkonstellation „Literat erfindet seinen Verfolgercop“ sowieso der Komik nicht entbehrt, wenn Neruda bei einer Faschingsveranstaltung von Intellektuellen und Künstlern, also der linken Szene, als Lawrence of Arabia verkleidet eigene Poesie vorliest.

Lebenslustig war Neruda, noch vom Untertauch-Versteck heraus macht er ganz ungeniert Besuche in Freudenhäusern mit Unterhaltung durch einen Travestie-Künstler. Überhaupt bricht er gerne aus den Verstecken aus.

Ob die Filmemacher wirklich von der Macht des Dichterwortes überzeugt sind, wage ich zu bezweifeln, sonst hätten sie Neruda nicht so kleinkariert dargestellt; dass er sich so über die Staatsmacht lustig machen muss. Mir scheint, dass die Filmemacher sich nicht so ganz sicher sind, wenn nicht gar pessimistisch, ob des Dichters Wort gegen die rohe Staatsgewalt etwas ausrichten kann. Das ist der Gedankenimpuls oder die Frage, mit der ich das Kino verlassen habe.

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