Die schönen Tage von Aranjuez

Vor lauter Ehrfurcht und Andacht traut man sich beim Abspann kaum aufzustehen und das Kino zu verlassen, so hat einen dieser großbürgerlich-fürstliche Kinozauber aus der Werkstätte Wenders/Hanke eingesponnen, hat er einen aus dem Trubel der Stadt in eine andere Welt entführt und diese Qualität und Differenz am Schluss noch, ausgehend von einem Flugzeug, das über das Filmset vor den Toren Paris rauscht, thematisiert. Andachtskino mit meditativer Nebenwirkung.

Man könnte vergleichen mit der Innigkeit, die eine Tropfsteinhöhle verbreitet, oder mit der Konzentration beim kontemplativen Betrachten von Manets Seerosen im Pariser Musée de l’Orangerie.

Es ist der Versuch, nach einem Theaterstück von Handke, das Thema Liebe über Wörter und Texte, nur über Dialog und keinesfalls Action, einzukreisen. Dazu braucht es Ruhe und Distanz zur Stadt. Die hat Wenders in einem herrschaftlichen, erhöht liegenden Anwesen vor den Toren von Paris gefunden; mit dem Feldstecher ist die Skyline im leichten Smog auszumachen (Zeitungsschlagzeile im Dezember 2016 „Paris verhängt Lkw-Fahrverbot wegen Smog“).

Die Ausgangslage ist der Dichter selbst. Das ist eine Erfindung von Wenders zum Theatertext von Handke. Jens Harzer spielt ihn konzentriert und verhalten. Mehr denkend und suchend als brummelnd. Er benutzt eine schöne alte, portable Schreibmaschine, so wie Handke selbst (siehe die Dokumentation über Handke). Klar, das sind eitle Selbstreferenzen.

Und noch ein Privatismus: einmal taucht Handke selbst als Gärtner mit Baumschere im Hintergrund auf.

Der Dichter sitzt vor geöffnetem Fenster an einem geschmackvollen Schreibtisch, bürgerlich bis großbürgerlich, vor sich ein kleines Bühnenbild bestehend aus zwei Stühlen und einem runden Tischchen mit einem Apfel drauf.

Das ist die Maquette der Bestuhlung des „Bühnenbildes“ für die realen Darsteller Reda Kateb als Mann und Sophie Semin als Frau. Sie werden authentisch von Hans Löw und Eva Mattes auf Deutsch nachgesprochen. Sie führen im realisierten „Bühnenbild“, das ist ein Art hervorgehobener, pergolabedachter Terrasse, vor welcher die Landschaft weich abfällt, lange Gespräche über die Liebe und das Verhältnis des Mannes und der Frau zueinander.

Dichterisch, poetische Gespräche. Ein Wortfilm. Ein Dialogfilm. Von Wenders mit diskreten Schnitten vorwärts gebracht. Ohne jede Anschlusspingekligkeit. Mal scheint die Sonne, mal weht ein heftiger Wind. Da die Drehzeit kurz war und die Darsteller erstklasssig vorbereitet, konnten wohl größere Stücke in einem gedreht werden, so dass der Sonnenstand sich nicht innert kürzester Zeit total verändert hat.

Das Spiel ist das, dass der Dichter im Haus sich das ausdenkt und das Kino sie als dieses Stück sichtbar macht. Ein Terrier ist ab und an zu sehen, mal knurrt er oder läuft aus dem Bild und liegt im nächsten Moment woanders. Das bringt Leben in die Dialoglastigkeit, lässt aber die Gedanken auch leicht abschweifen.

Wobei durch die kontinuierlichen Stimmen – wenn sie nicht gerade durch die Entscheidung für eine neue Platte aus der Juke-Box durch den Dichter unterbrochen werden – eine Art Poesie-Liturgie-Stimmung aufkommt, Grenznähe zu einem liturgischen Kino mit großem Entspannngseffekt, Nähe zur wiedereingeführten lateinischen Messe in der katholischen Kirche.

Die Texte sind liebesgrüblerisch bis liebesskeptisch und liebesradikal, brauchen en Detail nicht reflektiert werden. Vielleicht ist der Effekt mehr der, dass einzelne Schlag- oder Reizworte beim einen oder anderen Zuschauer den einen oder anderen Gedankenausflug in Gang setzen, eigene Erlebnisse Revue passieren lässt.

Zwischendrin sitzt Nick Cave höchstpersönlich am Flügel vorm offenen Fenster und gibt einen Song zum Besten. Kult pur.

Zu dieser erhabenen und irgendwie laut betonend: ehrlichen Stimmung gesellt sich die Leidensstimme des Dichters. Einmal fährt ein gelbes Trikot unten über eine vom Feld verdeckte Straße. Einmal spricht der Mann vom Rotkehlchen. Über die Offenheit von Schönheit und über das Springkraut „Noli me tangere“, über die Epoche der Erlebnislosigkeit, der Ratlosigkeit.

Als Hinweis auf Thomas Bernhard dürfte die kleine Aktion des Dichters gelesen werden, dass er einmal das Haus verlässt, am Waldrand ein Holzscheit zu hacken.

Literatur und deren Produktion als ein Ereignis ab von der Welt an einem Sommertag. Versuch des literarischen Einkreisens des Themas Liebe. Und was war Minne? Gibt es eine glückliche Liebe? Der Wenders hat einfach Geschmack in der Zubereitung von Handkes liebesseziererischen Texten und ist ein Meister des unmerklichen Schnittes … und gibt doch nichts zu sagen über die Liebe – „ist doch nichts passiert“.

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