Carlo, Keep Swingin (DVD)

Höchste Zeit für diesen Film, für diese DVD und ein Muss für den Jazz-Freund in Deutschland, der sich für die Geschichte des Jazzes, wie er aus den Tiefen des Dritten Reiches und aus dessen Trümmern heraus in Frankfurt sich entwickelt hat. Die zentrale Figur dabei dürfte Carlo Bohländer gewesen sein, der hier von Elizabeth Ok erinnert und wieder lebendig gemacht wird.

Aus zwei Gründen war Frankfurt wichtig: zum einen, dass es nach dem Krieg von den Amerikanern besetzt wurde. Zum anderen hängt es zusammen mit der Titelfigur dieser aus vielfältigstem Archivmaterial (Fotos, Zeitungsausschnitte, Mitschnitte von Konzerten und Talkshwos, Interviews historisch und neu von Musikern, die dabei waren) schön zusammengestellten Dokumentation. Carlo Bohländer war Jahrgang 1919 und ist 2014 gestorben.

Der Film versucht sich Carlo Bohländer anzunähern und streift dabei gezwungenermaßen die deutsche Jazzgeschichte, in der er als ein Inspirator wirkte. Um den Jazz in Amerika zu erleben, hat er auf einer Passagierlinie angeheurt. Um sich aus der Wehrmacht zu befreien, hat er sich, ein Mann von Normalgröße, auf 42 Kilo runtergehungert.

Bohländer selbst spielte Trompete. Wollte den Jazz aber immer auch geistig ergründen. Sein Credo war, aus der Intuition ranzugehen und es sich nachher rational klar zu machen. Deshalb schrieb er Bücher, die lange Zeit Kanon waren (Die Anatomie des Swing). Bohländer galt als die graue Eminenz des Jazz.

Jazz war die Musik der Demokratie, der Freiheit, deshalb von den Nazis nicht gern gesehen, obwohl, wie Bohländer in einem Interview genüsslich erklärt, die Filme, die hier gezeigt wurden, noch voll von Swing waren.

Im Krieg, ab 1941, trafen sich die Jazzer subversiv im ‚hotclub‘ als hotclub-Combo in Frankfurt (kulturelle Widerstandskämpfer).

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches erhielt Bohländer sofort die Genehmigung von den Amis, weil er denen eine Liste mit über 300 Titeln vorlegen konnte, was mehr als Beweis genug war, dass die Leute Ahnung von Jazz hatten. Sein Jazzclub „domicile de jazz“ war der angesagteste Jazzort nach dem Krieg, selbst Louis Armstrong ist dort aufgetreten und alle Größen des deutschen Nachkriegsjazz in gegenseitiger Befruchtung mit den Amerikanern, die nach ihren Auftritten zu Jam-Sessions in den Keller kamen.

Carlo Bohländer heiratete eine amerikanische Jazzsängerin, Anita Bohländer, auch sie erzählt einiges über diesen nicht leicht zu kategorisierenden Menschen, er war nicht nur einfach, hatte oft die Gedanken beim Jazz. Er selbst kommt in einigem Archivfootage zu Wort. Über fast den ganzen Film hat Elizabeth Ok ein wunderbares Mixed-Tape mit Jazz gelegt mit vielen Leckerbissen.

Es kommen im Film vor: Bill Ramsey, Paul Kuhn, Gustl Meyer, Dusko Gojkovic, Albert Mangelsdorf. Carlo sei das Maß aller Dinge gewesen, ein Pionier des Jazz, er wollte den Jazz auch geistig kapieren, wie funktioniert Swing etc. Das Denken lag ihm mehr als das Üben, deshalb habe er 1957, mit 38, die Trompete weggelegt.

Anregendes Kramen in reichen Erinnerungen und Anekdoten, Stimmungen. Jam-Sessions machen die Seele frei.

Irgendwann habe er wohl an Altersparanoia gelitten und ist in Vergessenheit geraten. Dagegen gibt es jetzt diese DVD.

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