Café Waldluft (BR, Samstag, 29. November 2016, 22.30 Uhr)

Doppelte Symbiose.

Dieser sehens- und empfehlenswerte Dokumentarfilm von Matthias Koßmehl (Redaktion Claudia Gladziejewski) ist zum einen wie eine Symbiose aus zwei aktuellen Spielfilmen: er realisiert einerseits den eher humoristischen Traum von der fiktionalen Win-Win-Situation aus Welcome to Norway und andererseits den ebenfalls fiktionalen Willkommenstraum der Münchner Filmschickeria vom Zusammenleben mit Flüchtlingen, mit dem Flüchtling als Heilsbringer in Willkommen bei den Hartmanns.

Koßmehl setzt der allgemeinen Stimmung und den Schlagzeilen zum Flüchtlingsthema individuelle Schicksale und Begegnungen entgegen.

Und wiederum beschreibt der Film eine wunderbare Symbiose des Zusammenlebens von lauter „Fremden“ im Hotel Café Waldluft, einem am Rande von Berchtesgaden gelegenen Traditionshaus.

Die Wirtin selbst ist eine Österreicherin, wohnt aber schon 50 Jahre hier, hat den Bezug zur Heimat verloren. Ihre Mitarbeiterin kam nach dem Mauerfall aus der DDR, wurde hier angelernt. Sie möchte nirgendwo anders hin. Und seit einigen Jahren sind die Zimmer an Flüchtlinge vermietet, die auf den Ausgang ihrer Asylverfahren warten.

Bei solchen Dokumentationen ist normal, dass nicht alle Leute unbedingt im Film vorkommen wollen. Koßmehl hat jedenfalls einige wunderbare Protagonisten gefunden, anhand denen er das Leben in dieser prächtigen Alpengegend mit Aussicht auf den Watzmann schildern kann, die Symbiose dieser „Heimatlosen“ mitten in dem, was die Bayern für ihre Heimat halten, das zeigen Impressionen von einem Trachtenumzug und vom Stammtisch im Café.

Der Syrer, dessen Familie in Jordanien auf die Ausreise nach Deutschland wartet; der sehr traurig ist und es kaum mehr aushält; der selber 59 Tage in Assads Gefängnissen Torturen erlebt hat. Und der endlich seinen Pass bekommt.

Der Nigerianer, heller Kopf, der vom Balkon gesprungen ist und nach einem halben Jahr Genesung und Reha wieder in der Waldluft auftaucht, der präzise Ziele im Kopf hat über seine Studien und der Arzt werden will.

Der Halbinder aus Australien, der unter Einsamkeit leidet.

Dass es nicht immer nur friedlich zu und her ging, vor allem in der ersten Zeit, schildert die Wirtin. Es kommt zu Begegnungen mit Stammgästen, mit Touristen, es gibt immer ernsthafte Gespräche, fruchtbare Kontakte.

Zu dieser Symbiose gehört auch eine bildliche und eine akkustische: Zu herrlichen Bergbildern ist Fairuz aus dem Libanon zu hören mit ihrem Lied „Watani“ – meine Heimat, mein Land.

Über Religion wird geredet, die Fassungslosigkeit über Atheismus.

Die Wirtin, Witwe, ist eine reflektierte, pragmatische Frau; wenn sie nur Flüchtlinge im Haus hat, ist die Wirtschaft einfacher zu bewältigen, als wenn noch jede Menge Reisebusse zur Verpflegung Zwischenstation machen, das wurmt die Frau aus der DDR, ihr entgehen Trinkgelder.

Man kann die Einsamkeit dieser Männer, die zwar über die modernen Telekommunikationsmittel mit ihren Familien verbunden sind, spüren, was wollen sie in diesem Alpenland, ohne Job, ohne Familie? So schön es hier ist.

Vom Stammtisch sind skeptische Meinungen zu vernehmen, wobei da sicher selektiert wurde, wenn das Mikro an ist. Die Wirtin erzählt, dass es anfangs nicht einfach gewesen sei.

Mit dem menschlichen Zugang zum Thema ist der Film vielleicht auch mit Gestrandet zu vergleichen, wobei hier in der Waldluft ein vielfältigeres, menschliches Biotop neben dem Bergpanorama geschildert wird, was jegliche Art von Fremdenfeindlichkeit als ku-klux-klan-krankhafte Schimäre erscheinen lässt.

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