Radio Heimat

Quicklebendige, schneidig geschnittene, bunte Ruhrpott-Coming-of-Age-Illustration nach Motiven aus den Büchern „Radio Heimat“ und „Mein Ich und sein Leben“ von Frank Goosen, Drehbuch und Regie von Matthias Kutschmann.

Protagonist und Ich-Erzähler ist Frank (David Hugo Schmitz), der oft voice-over spricht, im Sinne einer bebilderten Lesung oder auch mitten in Szenen aus der Rolle aussteigt und Kommentare in Richtung Publikum abgibt, was zu Doppelungen von Sätzen und Szenen führt.

Zahlreiches Personal und viel Ausstattungsauwand wird aufgeboten und wie beim Durchblättern eines Fotoalbumes in irrsinnsschnellen Szenenwechseln durchgecheckt.

Es geht um den Sommer 1983 im Ruhrpott, Zeit des Strukturwandels und Zeit der Pubertät. Sie stehen drängend kurz vor dem ersten Kuss, Frank und seine drei Freunde Pommes (Jan Bülow), Spüli (Hauke Peteresen) und Mücke (Maximilian Mundt). Franks unnahbare Traumfrau ist Carla Rösler (Milena Tscharntke).

Jedes Jahrgang braucht seine Coming-of-Age-Filme, meist leben diese auch nur ein Jahr, aber für den Schauspielernachwuchs ist es oft die ideale Chance, punktgenaue Leinwandpräsenz zu zeigen und die erste Stufe einer womöglich langen Karriereleiterm zu besteigen. Mal schauen, wer es von diesen Jungen schafft, locker, natürlich, beeindruckend sind sie alle.

Die Jungs hängen zusammen, gehen im Geiste die Möglichkeiten des Ansprechens, des Anbandelns durch. Das geht vom Besuch eines Tanzkurses bis zur Gründung einer Band. Diese Ideen werden in Kurzskizzen gezeigt und auch gleich wieder verworfen, weil zu altmodisch oder zu kompliziert, denn für eine Band sollte man auch ein Instrument spielen können – und sowieso, ist das schon unübertrefflich bei Sing Street zu sehen gewesen.

In diesem Zusammenhang gibt es Kurzskizzen des häuslichen Hintergrundes von Frank und innerhalb dieser Rückgriff auf TV-Hits aus den 80ern.

Die Produktion hat an Schauspielern aufgefahren, was sie mit Ruhrpottwurzeln finden konnte, viele prominente Namen mit gar nicht so prominenten Auftritten: Peter Lohmeyer, Ralf Richter, Heinz Hönig, Anja Kruse und Jochen Nickel als Knallcharge Laberfürst.

Der passende Musikscore lässt diese Jahre mit Bergbaukrise, Bergbaubildern, Trinkhalle und Rurhpottkultur, Currywurst-Vorfall, Tanzlehrerin Leni Riefentanz, Strukturwandel, Kohlechor und Sommercamp in rasendem Lauf vorbeiziehen. Allerdings droht vor lauter Rückwärtsbegeisterung für die Vorhandy- und Vorcomputerzeit der Film richtiggehend in der Vergangenheit zu versinken und der Vorspann wiederum wird schier erdrückt von einer Unmenge von Namen, die hier alle noch schnell der Oma zuhause vorm Fernseher von der Leinwand aus zuwinken wollen.

Was das ganze Team jedoch verbindet, scheint die rückhaltlose Liebe zum Ruhrgebiet zu sein und es verbindet sie die Erkenntnis, dass woanders auch Scheiße sei. Kurzschnitzelkino, jahrmarkttauglich, 80-er-Jahre-museumtauglich, Reminiszenzdurchblätterkino, das bei dem fetten Sonnenuntergangsbild von der eigenen Rührung ganz ergriffen wird.

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