Ma Folie

Ok, Liebe auf den ersten Blick, amour fou, Blick, Blick und ab ins Gebüsch, aufs Klo, ins Bett – und dann ist gerne das Pulver schon verschossen.

Bei Andrina Mracnikar, der Autorin und Regisseurin dieser österreichisch-französischen Koproduktion, fängt es da an spannend zu werden.

Die Begegnung der Blicke zwischen Hanna, Alice Dwyer, und Yann, Sabin Tambrea, in einem Lokal in Paris handelt sie zweckdienlich ab, womit sie gleich den Geist des Zuschauers bannt, statt ihn mit Emotion oder Diffusität zu überrollen oder zu verwirren. Yann wird deutsch-rumänischer Hintergrund zugeschrieben.

Hanna, die der Liebesblitz trifft, steht kurz vor dem Ende ihres Parisaufenthaltes vor ihrer Rückkehr nach Wien in ihr soziales Netz mit Exfreund Goran, Oliver Rosskopf, und ihrer gut befreundeten Nachbarin Marie, Gerti Drassl. Sie hat einen Job in einem Kinderschutzzentrum, hier macht sie Supervisionen, aktuell Sarema, ein von Panikattacken geplagtes Kind.

Yann seinerseits ist bestens in Paris eingewohnt, auch ihm fehlt es an nichts, er hat Job, Freunde, eine Band. Auch ihn trifft der Liebesblitz, so dass er alles in Paris stehen und liegen lässt, den Job kündigt und Hals über Kopf nach Wien reist.

Während die Hanna von Alice Dwyer undurchsichtiges Sphinx-Püppchen ist, repräsentiert Sabin Tambea einen ungewöhnlichen Männer- und Schauspielertypen mit einer verhalten leisen Stimme, er ist drahtig und weich zugleich, schwarze, dichte Künstlermähne schwingt auf seinem markanten Haupt, dominant, bleicher Teint, schmales, apartes Gesicht; kein Zufall, dass er den jungen König Ludwig II. im Film des inzwischen verstorbenen Peter Sehr gespielt hat.

Yann verbreitet sinnlichen Reiz umweht von einem Hauch Metaphysik; inzwischen nicht mehr die Unschuld vom Lande, aber etwas Reines ist geblieben. Ihm gegenüber wirkt der Goran von Oliver Rosskopf wie der Prototyp des aufrechten, unkomplizierten Mannes, der nicht den Gedanken an Abgründe aufkommen lässt, bei dem das Wort gilt, der sich auch nicht hintersinnt über die Komplexität des Seins, der allerdings auch Früchte, wenn sie sich ihm zuneigen, zu pflücken pflegt, pragmatisch ohne jeden Anflug des Visionären, des Hypersensiblen, trotzdem nicht dumm oder verpennt, wacher Geist aber nicht unbedingt paranoiagefährdet.

Der Liebesblitz, der Yann und Hanna trifft, der ist wohl fotografisch kaum festzuhalten, den muss man als gegeben nehmen, um sich in die nun folgenden Auf und Abs und Hin und Hers dieser Beziehung hineinziehen zu lassen.

Es fängt von der Regisseurin cool durchdacht an und wird so konsequent ausgebreitet bis in pochende Nähe des Horrorgenres.

Es stellt sich bald heraus, dass die beiden Figuren nicht so einfach sind, wie der erste Blick vermuten lässt. Es stellt sich heraus, dass beides ausgewachsene Charaktere sind, nicht unbedingt ausgereift, dass sie sich nicht schematisch abhandeln und gängeln lassen.

Yann wird gemartert von abgrundtiefer Eifersucht, welche im alltäglichen Umfeld von Hanna in Wien ständig neue Nahrung findet. Hanna wiederum bleibt eine undurchsichtige Spielerin.

Aus der genauen Beobachtung der Charaktere und der Wechselwirkung mit Emotionsschüben und der menschlichen Umgebung hat Andrina Mracnikar ein packendes Liebesdrama gebaut, spannend auch, weil sie ganz genau hinschaut und sie der beinah mechanische Fortgang der Konflikte fasziniert, die sich aus eben den Charakteren, den Gefühlen und den menschlichen Konstellationen ergeben.

Vor den filmgeschichtlichen Koordinaten, die sich der Film selbst zitatweise gibt, als Bild oder als Score, braucht sich dieser Liebesfilm in punkto Ernstnehmen von Figur, Charakter und Konflikt nicht verstecken: „The Tarnished Angel“ von Douglas Sirk, „Les parapluies de Cherbourg“ von Jacques Demy, „Chien Andalou“ von Luis Bunuel …

Mracnikar kreist das nicht fassbare Phänomen der Liebe raffiniert ein, versucht, es in eine Falle zu locken und schafft es damit, es ein Stück weit aus der Deckung zu holen.

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