La Calle de la Amaruga (Filmfest München 2016)

Dieses Geld, dieses verflixte Geld, was es alles mit uns anstellt.
Und erst in Mexiko! Selbst eine armselige Behausung, die aus einem Film der 50er Jahre zu stammen scheint, ist nur zu Finanzieren durch Prostitution, Betrug, Bettelei, Ausbeutung, hinzu kommen Alkohol, Zigaretten, Drogen und böse Gerüchte. Dagegen gesetzt: der Traum von der (wohl nie mehr erreichbaren) Normalität. Arturo Ripstein hat für diesen Befund in Schwarz-Weiß beeindruckend skulpturhafte Bilder gefunden. Bildschöne Verruchtheit.

Die beiden Kleinwuchs-Zwillinge. Man sieht sie immer nur mit Masken auf dem Kopf, vor dem Gesicht, Wrestler-Masken, die helmhaft futuristisch wirken für die Figuren Klein-AK47 und Klein-Tod. Und sicher, das Wrestler-Geschäft ist korrupt. Die beiden Herren, die sich gegenseitig befriedigen, wie ihnen vorgeworfen wird, sind verheiratet, haben normal gewachsene Kinder. Nach einem Kampf wollen die Zwillinge sich einmal etwas gönnen.

Die Famlie von Adela, heruntergekommen bis in die letze Pore. Ihr Mann Max vergnügt sich mit jungen Männern. Sie selbst ist in die Jahre gekommen, die goldene Zeit ist vorbei. Ihre Tochter, minderjährig, geht anschaffen. Die Oma ist für die Bettlernummer gut. Wie ein Gegenstand wird sie auf einem improvisierten Rollsitz gebunden und auf die Gasse, die Calle geschoben.

Und doch gibt es zwischen Mutter und Tochter im Pietaformat gefühlvoll anrührende Szenen – Menschlichkeit im gemeinsamen Elend. Sie sitzen in einem Boot, die Negativbeschreibung des Menschlichen als Verbindendes.

Arturo Ripstein hätte diesen, seinen flammenden Appel an Menschlichkeit und christliche Werte auch Mord im „Hotel Laredo“ nennen können. Der Thriller in seinem Film beginnt irgendwann, wie ungewollt, als Fehler in der nicht lupenreinen Existenzbewältigung alternder Gewerbetreibender.

Beruhigend für alle dürfte sein, dass die Polizei noch funktioniert und dass es sich, was wir aus mexikanischen Filmen und auch aus den Nachrichten inzwischen gewohnt sind, nicht um Kartelle handelt, die dahinter stecken.

Die Polizei fährt nigelnagelneue Wagen unserer Zeit. Und auch die beiden Jungs, die als physische Macht hinter der Puffmutter stehen, tragen Rucksäcke wie aus dem Outlet. Das sind die Anzeichen dafür, dass Ripstein mit seiner Kapitalismuskritik durchaus das Heute anpeilt und nicht eine Vergangenheit im Sinn hat. Denn die Menschenrechte, die kennen keine Vergangenheit, auch nicht für ältere Mitbürger. Mit vom Wind verwehtem Charme. Und die Angst vorm Alleinsein, die ist eine weitere nicht zu unterschätzende Macht im menschlich-unmenschlichen Handeln.

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