Remainder

Vorzüglich kunstvoll verheddert sich hier 1a-Kunst in der Frage nach der Realität und stolpert über den fehlenden Knick.

Dass er Realität spannend und glaubwürdig filmisch nacherzählen kann, beweist der Videokünstler Omar Fast nach einem Roman von Tom McCarthy in der Exposition dieses Realitätsrekonstruktionsversuches.

Das zeigt er anhand seiner Hauptfigur Tom Sturridge als Tom, den er zur falschen Zeit am falschen Ort sein lässt, so dass ihm von einem zusammenbrechenden Gebäude Trümmer auf den Kopf fallen, er ins Koma fällt und das Gedächtnis verliert. Omar Fast inszeniert ihn zudem als einen leinwandverfügbaren, schönen Schmerzensmann.

Es sind die Details, die die Plausibilität der Eingangssequenz ausmachen, die Irritation von Tom wie er aus dem modernen Gebäude kommt, wie er eine Taxe sucht, wie im Hintergrund das Dach des luftigen Glas-Eisen-Gebäude anfängt einzubrechen, wie Tom vielleicht durch seine bereits vorhandene Irritation zwischen stehengelassenem Koffer und der Wahrnehmung einer Frau, die aus dem Gebäude tritt, just an dem Ort steht, wo ein Dachtrümmerstück herunterfällt, ihm direkt auf den Kopf.

Es folgen signifikante, plausible Details aus dem Krankenhaus, Kommentare zu seinem Zustand, bereits halb tot, physisch tot, nur noch „Gemüse“ und dann die Beobachtung, dass er doch nicht tot sei, das Rollen eines Augapfels unter dem geschlossen Lid lässt darauf schließen.

Der Versuch der Wiederherstellung des Patienten, der mit enormen Gedächtnislücken zum Unfall zu kämpfen hat. Parallel dazu und kontraproduktiv zur Genesung setzt die an scharnierhaften Details sauber präsentierte Anwaltsmaschinerie ein, die enormes Schweigegeldpotential wittert und später den Klienten vor die Frage stellt, ob ihm eine Viertelstunde Berühmtheit bei einem öffentlichen Prozess wichtiger sei als 8 ½ Millionen Pfund. Der Film spielt in England, wurde aber mit viel deutschem Geld und ohne wahrnehmbaren deutschen künstlerischen Input zum Teil in Deutschland gedreht. Tom fällt es nicht schwer, sich für das Geld zu entscheiden, da er den Vorfall sowieso vergesssen hat.

Wie der Deal ausgehandelt ist, schlägt der Film einen lustigen, akademischen Haken und wendet sich fortan der Frage zu, was Tom mit diesem Geld zu machen gedenkt. Er versucht sein Gedächtnis zu reaktivieren, seine Geschichte zu rekonstruieren. Er arbeitet sich an der Rekonstruktion eines imaginierten Hauses mithilfe eines Immobilienfritzen genannt Nazi, der mit großen, nicht wertenden Augen hinter dunklen Brillenrändern in die Welt schaut, vor zur Rekonstruktion eines Banküberfalles auf die Steels Rolbas Bank mit angeheuerten Statisten (da dürften deutsche Komparsen darunter sein), und plötzlich wünscht Tom den Ernstfall.

Hierbei lacht sich die Katze, die sich gerade in den Schwanz beißt, krumm. Kleiner Handlungsfaden mittemang: Tom, noch bewegungseingeschränkt und sichtlich mit beschränktem Weltbewusstsein, hat den Anruf von diesem Anwalt erhalten, will mittendrin nach Tabletten greifen und mangels Kontrolle über die Bewegungen, reißt er das Telefonkabel versehentlich raus, so muss er sich zur Telefonzelle gegenüber seiner Wohnung begeben, sich einschließen, das ist ein Motiv, das in der ersten Phase öfter vorkommt, sein Einschließen in Telefonzelle, Toilette oder in ein aus Kartons konstruiertes Traumhaus, auf dem ganz zufälligerweise noch das Etikett „fragile“ klebt.

In der Telefonzelle entwickeln sich durch äußere Einflüsse weitere Handlungsfäden. Hier hat er noch lange Haare, wird von Pöblern Rapunzel genannt, die erzählen nebenbei, wie lange er handlungsunfähig gewesen sein dürfte.

Zu Freund Greg, dem er auf einer Party begegnet, der an einer dicken Kette um den Hals einen „Dick Cheney“ hängen hat, verhält er sich nicht dankbar, obwohl dieser ihn in der Zeit des Komas versorgt und für den Anwalt und die Entschädigung alles in Gang gesetzt hat.

Die Texte sind literarisch – von der Handlung her wandert der Stil zusehends zu einem Ästhetizismus um des Ästhetizismus willen, scheint sich in Richtung Selbgefälligkeit zu bewegen, bis sie sich wieder auffängt und mit der Rekonstruktionsstory ihren Lauf nimmt, Leidensmann, weil Leidensmann so bildschön und bildergiebig sein kann.

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