Lenas Klasse (im Maxim-Kino in München)

Humanismus im Russland Putins.

Hochemotionaler, russischer Film über das Chaos der Pubertät symbolisch kulminiert in einer Klasse der Nicht-Angepassten, der schwer Einzuordnenden, derer, die die Qualen und den Aufruhr der Pubertät nicht wegdrücken, die eine direkte Beziehung zum Tod entwickeln, zum Nichts, zur Liebe, die wenig Verständnis für Autoritäten haben. Echo und Variation zu Tadeusz Kantors Tote Klasse?

Behinderung als Symbol, die Pubertät als Behinderung, als Rumhängen in Behinderung und ständig verfolgt von der Polizei, ständig magisch angezogen von den Bahnschienen, Mutproben, sich zwischen die Gleise legen und den Zug drüber donnern lassen, der Kick mit dem besonderen Lebensgefühl in der Nähe des Todes, alles ist offen, keine Regeln gelten und die Polizei kapituliert schon davor, einen Rollstuhl zusammenzuklappen; die Beerdigung für den toten Looser Bespalov wird in der Kantine mit Haferbrei zelebriert, da die Schulautoritäten Friedhofsverbot wegen Undiszipliniertheit verhängt haben.

Wer von den Heranwachsenden nicht in die Kategorie des gesunden und normalen Menschen passt, bekommt Hilfe in der Sonderklasse Kategorie 8, so die Schulleiterin, die man bittschön bei Schuljahersbeginn mit Blumensträußen beglücken möge. Als Behinderungen gelten die Folgen von Meningitis, Stottern, Myopathie und andere Unangepasstheiten.

Lena leidet unter Myopathie, sie kann praktisch nicht gehen und ist auf einen Rollstuhl angewiesen, ein triftiger Grund, sie in die Sonderklasse im zweiten Stock zu stecken, wobei das Schulgebäude keine Rampe für Rollstühle hat, eine zusätzliche Erschwernis.

Ivan I. Tverdovskiy, der mit Mariya Borodyanskaya und Dimitry Lanchikhin auch das Drehbuch geschrieben hat, schildert diese „Hilfe“ inmitten des durchinszenierten Aufruhrs der Gefühle und Interessen, die das Coming of Age mit sich bringen; die reaktionsschnelle Handkamera von Fedor Struchew hängt sich ran an die Vorgänge mitten in diesem Strudel, der sich für alles interessiert außer für die Schule.

Die Zukunftsaussichten für diese früh Ausgesiebten sind düster; die einzige Chance, sich auf eine normale Lebenswegschiene zu setzen, das sei die schmale Oese der Bildungs- und Gesundheitsprüfung und dass dafür gelernt werden müsse; das legt Lena ihren Mitschülern dar. Die Prüfungskommission ist eine hübsche Ansammlung typischer Apparatschik-Figuren.

Innerhalb der Erwachsenenwelt gibt es Schlägereien zwischen Frauen, die offenbar längst ihre erste Liebe vergessen haben, einen herrischen Drachen von Putzfrau, Hickhack im Lehrkörper. Die Jugend ist den Autoritäten gegenüber auch nicht aufs Maul gefallen, eine Lehrerin muss sich anhören, dass sich mit ihr keiner mehr in die Büsche schlagen würde; Sprache als schonungslos harte Münze.

Mit den zarten Ansätzen erster Liebe zwischen Lena und Anton ist der Film erst RomCom pur, dann in Richtung gnadenlos brutales Drama sich entwickelnd und erst im letzten Moment noch einen Hoffnungsschimmer für die gebeutelte Lena und gegen das medizinische Verdikt der Apparatschiks auffahrend.

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