Much Loved

Kino als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung und nicht als Mittel zum Fishing for Compliments oder zum berühmt werden oder um Subventionsgelder abzugreifen.

Je mehr mir beim Zuschauen klar geworden ist, worum es Nabil Ayouch mit seinem Film geht, desto mehr hat er mich reingezogen in seine marokkanische Sichtweise. Sex ist zwar ein elementar menschliches Bedürfnis, existiert aber offiziell gesellschaftlich als solches gar nicht außerhalb der Ehe. Entsprechend realistisch werden die Szenen auch inszeniert und gespielt, nicht mit der Kunst und naturalistischen Künstlichkeit von Abdelatif Kechiche in Blau ist eine warme Farbe sondern reportagehaft aus dem marokkanischen Prostituierten-Milieu, das mit ausgiebigen Schilderungen orgiastischer Parties mit saudischen Prinzen in Marrakesch anfängt.

Ayouch macht diesen reportagehaften Spielfilm, weil die marokkanisch-muslimische Gesellschaft mit diesem existentiellen Grundbedürfnis des Menschen verdränglerisch umgeht: offiziell gibt es keine Prostitution, Araber sind nicht schwul und Transsexualität gibt’s schon neunmal nicht.

Aber die Bedürfnisse sind da. Dass Ayouch dieses Milieu realistisch trifft, das dürfte der Grund sein, warum der Film in Marokko verboten worden ist und zum Skandal wurde. Denn Ayouch übertreibt nicht, bleibt nah an den Menschen.

Im Zentrum stehen drei Prostitutierte und ihre Vermieterin, Noah, Randa und Soukaina, wobei Randa später das Lesbische für sich entdeckt. Sie werden von ihrer fabelhaften Chauffeurfigur Said zu den Discos oder Privat-Parties gefahren; das wird detailliert berichtet, auch wie sie die Handys abzugeben haben; schwelgerisch, was im Rausch von Koks, Alkohol, Musik und Tanz so passiert.

Man hört ganz am Anfang des Filmes die drei Frauen über ihre Erlebnisse plauschen, nicht immer erfreulich, kommt auf die Größe des männlichen Teils an, Afrikaner können zu blutigen Verwundungen führen, zu zeitweiliger Arbeitsunfähigkeit.

Später stößt zu den Dreien ein Transvestit, noch später ein Mädel vom Lande, auch sie trefflich ausgesucht; sie wird von ihren Erlebnissen berichten, sie bietet sich unverblümt auf der Straße den Männern an.

Es kommt der Liebhaber vor, der keinen Ständer zustande bringt und auf seinem Computer Homo-Pornos runterlädt. Auch das darf offiziell nicht wahr sein.

Das doppelte Spiel wird deutlich bei Besuchen einer der Frauen bei ihrer Familie. Da zieht sie sich ordentlich an mit Kopftuch, steckt der Mutter Geld zu; kümmert sich um ihre kleine Schwester, um die Familie. Aber wie der Mutter aus der Nachbarschaft Gerüchte über ihr anderes Leben zu Ohren kommen, ist es aus. Die Tochter wird des Hauses verwiesen.

Es gibt zwischendrin herzerwärmende Kuschelbilder der Frauen, da liegen sie ganz nah beieinander, schauen sich einen Film auf dem Computer an, reden über Gott und die Welt; Outsider inniglich unter sich.

Der Film betört durch den Eindruck von Realität und einem dazu ausgezeichnet zusammengestellten Cast. Fahrten mit Said durch die Stadt nutzt Ayouch für Impressionen aus dem Stadtleben, erinnernd an die verborgene Intimität im Taxi von Taxi Teheran, ein kleiner Auffahrunfall eines Wagenschiebers mit einem Auto, ein Fahrradunfall, aber die Kamera schaut vorwärts, hält sich dabei nicht auf.

Ein Film aus einem Zweit- oder Drittweltland, der nicht wirkt, als sei er für den westlichen Filmfestivalmarkt produziert, um das dort erwartete (gerne auch überhebliche) Bild von der zweiten oder dritten Welt zu bestätigen.

Beim Coiffeur unterhalten sich die Damen. Es gibt Arztbesuche und solche bei der Polizei. Und da es sich doch um einen Spielfilm handelt, lässt Ayouch ihn mit einer traumhaft schönen Eskapade in einer Stretchlimousine am Atlantik enden.

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