Fritz Lang, der Gutmensch, der getötet hat – kein komplexer Film.
Eine schöne Groschengeschichte. Der berühmte Regisseur Fritz Lang hat die Nase voll von Massen und Metropolis. Er will den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Er ist elektrisiert von den Zeitungsberichten über den Serienmörder Kürten und will darüber einen Film machen.
Der Film von Gordian Maugg, der mit Alexander Häusser auch das Drehbuch geschrieben hat, zeigt nun, wie Lang, nebst Ehekrise mit Thea von Harbou, für den Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ recherchiert (oder allenfalls: recherchiert haben könnte) und dabei Szenen für das Drehbuch entwickelt. Das scheint eine Absicht dieses Filmes zu sein, einem breiteren Publikum nicht nur einen Blick in die deutsche Filmgeschichte sondern auch einen Einblick in die Entwicklung eines Drehbuches zu geben. Er tut das mit Archivmaterial und mit Nachspielszenen. Letztere zeugen von einem hohen Stand des Filmhandwerks heute, machen aber auch die Differenz zu damals deutlich.
Aber der Film ist nicht nur für Lieschen Müller gedacht, die anhand der einfachen Groschenromangeschichte, die von der Liebe und vom Drehbuchschreiben handelt, einen Blick in die Werkstätte der Deutschen Filmgeschichte werfen möchte.
Der Film von Gordian Maugg ist für den Kinomenschen geradezu eine Herausforderung zur Schulung des Schauens, zum Vergleichen, stellt Maugg doch an den Anfang Archivszenen mit dem originalen Fritz Lang. Erst dann darf Heino Ferch, eine der Kühlerfiguren des heutigen subventionierten deutschen Kinos, als sein Replikat sich versuchen.
Und da werden doch krasse Diskrepanzen evident: Fritz Lang original ist ein Vorwärts-Mensch, der Sache, der Idee, dem Film zugeneigt, Heino Ferch, das Duplikat, ist ein Poseur, einer der mit dem Sich-In-Szene-Setzen vollauf ausgelastet ist. Wenn Fritz Lang ein Adler ist, der um seine Beute kreist (also um seine Szenen, seine Ideen), so ist Heino Ferch eine im Gehege der industriellen Landwirtschaft subventionsgefütterte Mastente. Welch Energieunterschied zwischen den beiden Figuren!
Insofern erzählt der Film auch etwas über das groteske Kinoverständnis von heute im Vergleich zu den Pionieren, erzählt, wie viel gemütlicher Kino doch geworden ist, erzählt vielleicht vom Leiden an unserer Kinozeit – aber: wollen wir zurück?
Es gibt auch Szenen mit dem junen Fritz Lang und der jungen Frau von Harbou, mit anderen Darstellern. Hier ist das Vergleichen erschwert, weil es an den entsprechenden Originalszenen fehlt. Aber gerade die Differenzen erzählen viel über den Niedergang der deutschen Filmkultur, die hier zwar technisch einen hohen Stand an heutiger Schwarz-Weiß-Inszenierung aufweist, aber diese Fokussierung auf das Ziel, die Sache, die scheint weg, während der Film, was Recherchekultur für Filme nach wahren Begebenheiten betrifft, sich kaum über das Lieschen-Müller-Niveau hinaus begibt.
Mörder Kürten, „eine entartete Kreatur, eine Verschwendung von Volksvermögen“.
Das muss man Maugg lassen, dass er seine Schwarz-Weiß-Rekonstruktionen so kompakt hinkriegt, dass es sich erübrigt, einzelne Schauspieler herauszuheben, bis auf die Hauptfigur, die direkt mit dem Original konfrontiert wird.
Haben Sie deshalb getötet, um berühmt zu werden?
Der humanitäre Impetus im Dialog mit dem Mörder kommt bei Ferch sentimental daher, wirkt geheuchelt. Sentimental sind auch die Muttergeschichten. Und es gibt eine groteske Vaterfigur von Fritz Lang, die wenig erhellend ist.
In der moralischen Diskussion mit Kürten wirkt Lang in der Ferchdarstellung wie ein Gutmensch, auch er habe getötet, 1916, als Artilleriebeobachter; aber Schweigen über den Tod von Elisabeth Lang, seiner Gattin, mittels Brustschuss. Gegen diese Gutmenschendarstellung lässt Maugg Ferch als Lang in der Szene, in der er eine Nutte von hinten nimmt, wie einen Schwerverbrecher aussehen, ebenso, wenn Lang-Ferch einer Pressekonferenz beiwohnt. Sind das Mauggs gezielte Hinweise für die Vermutung, dass in einem großen Künstler auch ein Verbrecher stecken müsse?