Geschichte einer lebenslangen Emanzipation.
Tango als die formvollendete, professionelle, die widersprüchliche Beziehung zwischen Mann und Frau spiegelnde Kunstform, die die kaum auszuhaltende Beziehung, Liebe und Hass, Anziehung und Abstoßung vereint, für einige Takte versöhnt, aus ihnen enormes, tänzerisch-künstlerisches Potential schöpft.
Die indirekte Regie und den maßgeblichen Erzählfaden dieser deutsch-argentinischen Koproduktion von German Kral ist die 80-jährige Tänzerin Maria Nieves Rego. Ihre lebendigen Erzählungen von einem Lebensweg aus der Armut, die Mutter hat Knochen im Müll gesammelt, sie gesäubert, gekocht und den Kindern vorgesetzt, bis zur mit Standing Ovations gefeierten, selbstbewussten 80-jährigen Tänzerin, verleihen diesem Film ungeahnten Drive.
Erst nachdem sie die tiefe Krise der Trennung von ihrem Tango-Partner Juan Carlos Copes, dem zweiten Protagonisten der Dokumentation, überwunden hat, ist sie zur großen Alterskünstlerin aufgeblüht. Wie ihre Augen funkeln, wenn sie mit einem jungen Tänzer einen Tangoschritt übt, wie ihr Beine sich rasend bewegen beim Bühnenauftritt mit einem Partner!
Schnell kommt ein Statement von ihr über die Männer, die seien nur da zum Ausnützen und Wegschmeißen und was sie in ihrem Leben anders machen würde, nichts, nur den Juan nicht mehr heiraten. Das ist sehr früh gewesen, Liebe und zwar bedingungslose und auf den ersten Blick.
Verbindend war der Tango (Kinder hat Juan mit einer anderen gezeugt), wobei Maria die ersten Impulse gegeben hat, denn anfänglich hat er wie eine Sackkarre getanzt; den Tango hat er vom Kopf her revolutioniert, hat ihn auf die Bühne gebracht, hat den Paartanz waghalsig auf einen Tisch von 1,50 auf 1,50 Metern gehievt, wovor Maria jedesmal Todesangst hatte, kneifen kam nicht in Frage, ihre Liebe, ihre Hingabe waren kompromisslos; dabei fühlte sie sich immer minderwertig.
Sie und Juan Carlos Copes haben jahrelang getanzt zusammen, haben den Broadway erobert, den Tango weltberühmt gemacht; obwohl sie sich immer mehr gehasst hatten; aber Maria ließ sich nicht frustrieren, sie legte alle Gefühle in den Tanz.
Marias Zuhörer im Film sind nebst dem Regisseur eine Truppe junger argentinischer Künstler und Tänzer, die aus ihren Erzählungen, und auch aus denjenigen von Juan, Reenactments choreographieren und diese in mit Einrichtungsgegenständen bestückten Bühnenräumen oder auch mal auf einem Hausdach oder auf einer Brücke („Singing in the Rain“, weil das Maria und Juan damals so inspiriert hatte) nachtanzen.
Über die tiefe, erzählerische Substanz von Liebe, Hass und der Radikalität von beidem im Ausdruck disziplinierter Professionalität und den tänzerischen Augenschmaus legt Kral einen Ohrenschmaus von Soundtrack von Luis Borda und Gerd Baumann.