Wittgenstein und der Hund oder, wovon man nicht sprechen kann, sollte man darüber wirklich einen Film machen? Ja, mag sich Laurie Anderson bei dieser ihrer philosophisch-kinematographisch-patchworkhaften Spurensuche auf dem brüchigen Terrain der Erinnerung nach einem verlässlichen Bewusstsein auf den verschiedenen Ebenen zwischen der Außenrealität und dem ungläubigen Staunen des elfjährigen Mädchens darüber, dass die meisten Erwachsenen gar nicht wissen, was sie so daherreden.
Es ist eine Wahrheitssuche, die ihren Fokus streifen lässt über ferne Kindheitserinnerungen, das problematische Verhältnis zu Vater und Mutter (wie ihr, ohne zu lügen, am Totenbett begegnen, da sie sie doch nicht geliebt hat), Super-8-ähnliche Kindheitserinnerungen, ein See, der winters zufriert, über weltgeschichtliche Ereignisse, die Ermordung Osama-bin-Ladens, der Neubau des NSA-Hauptquartiers mit seiner Datensammelwut als späte Fortentwicklung des Prinzips der ägyptischen Pyramiden (die haben nur Infos über die Könige bereitgestellt), ein Wort Kennedys, das die Filmemacherin befreit hat, denn er habe auch Rückenprobleme gehabt wie sie nach einem Sprung vom Sprungbrett auf den Betonboden des leeren Schwimmbassins, über Weltuntergangsprophezeiungen, Kierkegaard, die Fassungslosigkeit über 43 Tausend Jahre Zivilisation – und doch auf den Hund gekommen.
Immer wieder der Hund Lolabelle, der posthum mit eigener Seite auf Facebook auftaucht, die Hunde, Hundeslippers, Hundeaugen, die Hunde als Maler, als Bildhauer; das Village mit der großen Hundedichte, Hundeperspektive, das reduzierte Farbsehen der Hunde, dafür die intensivere Geruchswahrnehmung, sie sind ja auch näher am Boden.
Die Bildgestaltung, die Bildbearbeitung erzählt gerne auch von der Unschärfe des Bewusstseins, der Doppelung, dem Musterhaften von Strukturen, es gibt Zeichnungen in Schwarzweiß, die Anderson animiert, die Illustration von Kierkegaards Satz, dass das Leben rückwärts verstanden werden müsse (einen ähnlich lautenden Satz gibt es auch von Schopenhauer; allerdings verzwickter): so lässt denn Laurie Anderson Menschen in der Öffentlichkeit rückwärts gehen, Kierkegaard light.
Die Widersprüchlichkeit zwischen Bardo und real-politisch-historischer Wirklichkeit, der realen Welt, wie sie sie nennt. Journal aus dem gedoppelten Tagebuch aus Bardo-Welt und realer Welt; einer skeptischen Haltung zu den verschiedenen Realitäten und Bewusstseinsmöglichkeiten, Befragung oder Suche nach einem verlässlichen, wahren Bewusstsein. Daraus wäre auf der Metaebene ein Exkurs zum Thema Kino und Wahrheit anschiebbar.
Oder der ganze Bilderwust ironisch gleich als Screensaver abgetan; würde sich tatsächlich als solcher gut machen; wäre eine praktische Anwendung von Kino.
Hinzu kommt der künstlerisch-musikalische Input und Lou Reed.
Kino als Sammelsurium von Bewusstseinsfragmenten aus Bildung, News und den Existentialen der häuslichen Erfahrungen als Kind eines Vaters und einer Mutter.