Die Handlung von Quentin Tarantinos neuestem Film, seinem achten, worauf im Vorspann bereits deutlich hingewiesen wird, ist recht schnell erzählt:
Tiefer Winter in Wyoming (das ist der völlig rechteckige US-Staat am östlichen Rand der Rockies, aber recht weit nördlich, ein Teil des Yellowstone-Nationalparks befindet sich im Westen), im ausgehenden 19. Jahrhundert, etwa 20 Jahre nach dem Bürgerkrieg. Der Kopfgeldjäger John Ruth befindet sich mit einer gemieteten Kutsche auf dem Weg in die (fiktive) Stadt Red Rock, wo er die junge Daisy Domergue, die er mit Handschellen an sich gekettet hat, der Gerichtsbarkeit überstellen will. Auf sie ist das gewaltige Kopfgeld von 10.000 Dollar ausgesetzt, und damit man sie für ihre Greueltaten hängen sehen kann, bringt John Ruth die Gefangene lebend nach Red Rock, wie er es mit jeder seiner „Kunden“ macht.
In der verschneiten Wildnis, irgendwo im Nirgendwo, steht plötzlich Major Marquis Warren im Weg, seines Zeichens ebenfalls Kopfgeldjäger, ebenfalls kein Unbekannter. Seine Beute ist schon tot und kalt (so auch sein Pferd), doch kaum weniger wertvoll als die Frau – er nimmt es nicht so genau mit der gerechten Bestrafung wie John Ruth. Bald taucht auch Chris Mannix auf, der sich als neuer Sheriff von Red Rock ausgibt. John Ruth ist etwas skeptisch, denn es ist ungewöhnlich viel los in der eigentlich erstarrten, völlig unwirtlichen Winterlandschaft.
Ein Sturm kommt auf, und man entscheidet, nicht bis Red Rock zu fahren, sondern nur bis Minnie’s Haberdashery, ein Hof in Alleinlage in erreichbarer Entfernung. Dort trifft man auf einige weitere zwielichtige Gestalten, darunter ein Henker, ein Cowboy, ein General, jedoch nicht Minnie und Sweet Dave, und beschließt, zusammen den Blizzard auszusitzen. Ein paar Tage wird das wohl dauern.
Doch schon bald zeigen sich erste Ungereimtheiten in den Geschichten der Reisenden. Die Frage ist, welche davon einfach nur Spleens der Beteiligen in diesem mittlerweile gut eingeschneiten Gehöft sind, und welche davon Lügen. Man könnte ja versuchen, den Kopfgeldjägern ihre Beute abzuluchsen, um selbst den schnellen Dollar zu machen.
Schon bald kommt es zu mehr als nur skeptischen Blicken und unscheinbaren Fragen am Rande.
Es gibt einiges Interessantes an diesem Spätwestern (im doppelten Sinne: spät in der Zeit der US-Geschichte, aber auch spät in Bezug auf die Filmgeschichte und die Modewellen). Zum einen ist nicht ganz klar, wer überhaupt die Hauptfigur sein soll. Ein Ensemblestück (wie z.B. Ocean’s Eleven), eine von Tarantino frequentierte Erzählform, zeichnet sich normalerweise auch dadurch aus, dass alle, oder zumindest die meisten der beteiligten Sympathieträger am Ende der Handlung noch am Leben sind.
Der abgeschiedene, geschlossene Dreh- und Handlungsort der Haberdashery (=Herrenausstatter, kann eine Anspielung für ein Bordell sein, oder auch Süßwaren, Waffen, Bekleidung und so weiter, die Frage bleibt offen, doch ist Haberdashery für den Zuschauer weit eingängiger als der x-te Saloon) bietet Tarantino einmal mehr die Gelegenheit, ein wundervolles Katz- und Maus-Spiel aufzubauen, das nicht nur spannend und mitreißend ist, sondern auch Hercule Poirot und seiner Erschafferin gefallen hätte.
Der Film ist eigentlich gar kein Western, sondern ein Kammerspiel im Rahmen eines Western-Settings: Bewaffnete Personen, Exekutionen ohne langes Gezauder, die Möglichkeit für Übeltäter, sich weit genug entfernt absetzen und somit unbehelligt von ihrer Vergangenheit neu anfangen zu können.
Quentin Tarantinos Handschrift ist unverkennbar in Drehbuch, Musik (Ennio Morricone gibt sich die Ehre), Figuren und natürlich der Inszenierung zu erkennen. Im Vorfeld wurde intensiv darüber berichtet, dass der Film im Format Ultra Panavision 70 gedreht wird, anamorph (seitlich gestaucht) auf 65mm-Negativmaterial. Das interessante daran ist aber nicht die unglaubliche Qualität des großartigen analogen Filmmaterials, mit dem seit rund 20 Jahren nicht mehr gearbeitet wurde, sondern das ungewöhnlich breite Seitenverhältnis von 2,76 : 1 – mehr ging nicht in der Geschichte der Spielfilme (von einzelnen Kunstprojekten und ähnlichem abgesehen). Die Bildsprache, die durch dieses Format (Ben Hur zum Beispiel) möglich ist, zeigt ihre Stärken eben nicht nur in den Aufnahmen draußen, mit der kleinen Kutsche vor den gewaltigen Rockies, sondern auch drinnen, wo die Figuren wie gleich geladene Teilchen stets aufs Neue auf Abstand zueinander gehen. Kameramann Robert Richardson, der schon öfter mit Tarantino zusammengearbeitet hat (Kill Bill, Inglorious Basterds, Django), hat uns bereits mit Platoon, Geboren am 4. Juli und JFK begeistert, um nur ein paar seiner Arbeiten zu nennen.
The Hateful Eight ist wahrlich ein Meisterwerk. Vielleicht nicht Tarantinos rundester und „bester“, wenn man das überhaupt so messen kann, wohl aber um Längen besser als das, was im Schnitt so im Kino auf einen wartet.
Ein Gedanke zu „The Hateful Eight“