Die Berge nicht ernst genommen.
Oh du liebe, lahme Einfalt, fahr an die frische Luft in die Berge und du kannst wieder gehen, das ist hier die naive und rückständige Interpretation des Heidi-Stoffes in der Regie von Alain Gsponer nach dem Drehbuch von Petra Volpe, präsentiert in Yogurt-Werbeästhetik.
Bei Gsponer schließt sich mit dieser Heidiverfilmung ein Kreis. Mit einem Kurzfilm zum Heidithema hat er seinen ersten Auftritt an Filmfestivals gehabt und jetzt, 10 Filme später, ist er wieder, diesmal mit großem Subventionsaufwand, bei Heidi gelandet. Seine Anfänger-Heidi war entspannt und nett despektierlich, so das bisschen Erinnerung, was daran geblieben ist.
Hier geht es nicht um die große, epische Kinoerzählung, die nie ihr Ziel aus den Augen lässt, und den Zuschauer und mit ihm die x-fache verfilmte und allbekannte Erzählung weich und sanft gebettet auf die Heilung, auf die Erlösung hinführt, das ist Alain Gsponers Regieart nicht, der ein Routine-Drehbuch von Petra Volpe nach den Heidi-Bestsellern von Johanna Spiri aus den Jahren 1880 und 1881 als Drehvorlage abarbeitete.
Mit der Regie für dieses Projekt dürfte Gsponer von den vielen Förderern und Finanzierern betraut worden sein, weil er keinem Weh tut, weil ihn nicht der Tiefsinn interessiert, weil ihm wichtiger ist, dass sich ständig was tut auf der Leinwand, weil seine Produkte wohlwollenderweise nett genannt werden können (Akte Grüninger, Das kleine Gespenst, Lila Lila) und vermutlich, weil er ein Garant zur Erfüllung des Drehpensums ist. Die Erinnerung an alle diese Filme schwächelt schnell, vermutlich aus dem Grund, weil sie nicht sorgfältig genug gearbeitet sind.
Für die epische Erzählung, die einen Stoff wie ein Aroma in den Zuschauer einsickern lassen kann, ist Gsponers Regiestil zu flatterhaft, zu fahrig, da lässt er sich zu leicht ablenken von Komparserie (Angst vor der Lücke und der Immobilität) und Innenausstattung, in der er sich gelegentlich zu verlaufen droht und auch von der Sehnsucht nach werbewirksamen Alpenbildern; dieses Fehlen des Verständnisses für die Gewichtung und auch die Herstellung eines Spielraumes und die Abfolge verschiedener Kadrierungen zur Annäherung, Fokussierung und Herstellung der angemessenen Distanz zu einer Szene versucht Gsponer mit vorgeblicher Lebendigkeit zu kompensieren, Hauptsache es tut sich was und wenn es nur die Kamera ist, die wirkt, als verliere sie gelegentlich die Nerven und den Überblick.
Vermutlich aus einer Ahnung heraus, dass durch diese Methode das Wesentliche der Geschichte verloren geht (Quintessenz dieser Heidi-Verfilmung: die Alpenluft wirkt Wunder und macht Lahme wieder zu Gehenden), peppt er die Tonspur mit einem nervenden Untertext auf, der ständig behauptet: hey, wir machen einen geilen Film.
So ist es nur konsequent, dass bei solcher Ersatzbeschäftigung eines Regisseur, er die Schauspieler nicht im Griff hat, er Figur- und Sprachregiekompetenz nicht beweisen kann. Das wirkt sich in eklatant unterschiedlichen Schauspielerdarstellungen aus, eine direkte Folge des Castings; es gibt Schauspieler, die haben offensichtlich Spaß daran, präzise Figuren zu entwickeln und zu spielen: Katharina Schüttler als Fräulein Rottenmeier, Michael Kranz als der Herr Kandidat, während Bruno Ganz mehr wie ein Maskerade-Opa wirkt, ein Städter so leicht und beweglich wie direkt aus dem Alters-Gym. Hannelore Hoger überzeugt als Großmama Seesemann und an der Stelle, an der sie eine kleine Geschichte vorliest, gibt sie vor, was Sprechkultur im Film sein kann, von welch bildendem Wert für das kindliche Gehör, was besonders auffällt, da um sie herum ein teils grauenhafter Sprachensalat passiert, oh Graus, weil eine absurde Vermarktungstheorie das künstlerische Interesse an einer brauchbaren Tonspur über Bord geworfen hat und ein Hochdeutsch, wie auch immer, verlangte.
Der Geißenpeter ist ein Naturtalent. Während Vater Seesemann mit seiner gespreizten Zeigefingergestik auf eine Laienbühen als Erfahrungshintergrund schließen lässt.
Zur These, dass Gsponer die Alpen als Heilmythos inszeniert, wobei ich mich frage, ob das wirklich die Idee von Johanna Spiri gewesen ist, und falls ja, was Gsponer mit dieser Umdeutung bezwecke, ob er da geistig nicht weit hinter Spiri zurückfällt, lässt sich als Indiz anführen, wie er auf der Alp oft juchzen und juhuen lässt. Oder wie er den Anfang des Filmes inszeniert mit Adlerflug und Bildern, man traut seinen Augen kaum, von denen man erwartet, dass sie sofort zu einer Alpenmilch- oder Schockoladen-Werbung führen würden – in keiner Weise aber die Demut der Menschen vor der mächtigen und unberechenbaren Natur auch nur antippt, geschweige denn erahnen lässt.
Naturduselei also statt genaues Hinschauen auf die Unterschiede der Menschen, auf den Culture Clash von Stadt und Land, was von mir aus gesehen die Essenz des Heidistoffes ist, an der dieser Film bis auf Äußerlichkeiten vorbeigeht, wodurch ihm ein nicht allzu langes Leben vergönnt sein dürfte. Die Berge ernst genommmen, mit anderem Stoff zwar, zeigt der Film eines anderen Schweizers, „Das Deckelbad“ von Kuno Bont (DVD-Review folgt demnächst).