Der Perlmuttknopf

Hochkünstlerisch verwobene, chilenische Diktaturaufarbeitung vor kosmologischem Hintergrund von Patricio Guzmán.

Das Mittel für seinen Zugang zum Kosmos und der entsprechenden Philosophie ist für den Filmemacher das Wasser, wobei mir jetzt die freihändige Rekonstruktion seiner kosmologischen Lebensthese nicht leicht fällt, denn bald schon ist Guzmán wieder in der Atacama-Wüste beim riesigen Teleskop-Park, diesen Lauschern ins Weltall, die ihn nicht nur in ihrer geometrischen Anordnung faszinieren, sondern auch in ihrer industriell-militärischen Funktion, wie sie sich alle wie auf Kommando drehen. In der sie umgebenden Wüste ist er bereits in seinem Film „Nostalgia de la luz“ auf verräterische Spuren der Gräuel der Pinochet-Diktatur gestoßen.

Diesmal führt der Weg dorthin über den Umweg des fjordhaft zerklüfteten Patagoniens zu den Aborigines, von denen es heute noch exakt 8 in die Zivilisation eingewiesene Nachfahren gibt. 8000 sollen es gewesen sein, in fünf Stämmen mit fünf verschiedenen Sprachen, die auf und mit dem Wasser gelebt haben, ein faszinierendes Volk in vollkommenem Einklang mit der Natur, mit einer intuitiven Navigationsbegabung, die sie ohne technische Hilfsmittel sicher die 1000 Kilometer bis zum Kap Horn und zurück paddeln ließ. Das haben diese letzten Nachfahren mit ihrer gurgelnden Sprache, die die Sprache des Wassers sein könnte, in ihrer Jugend noch erlebt.

Guzmán arbeitet in seine geschmackvoll montierte Dokumentation beeindruckendes Archivfootage aus Fotos und Filmen und Zeichnungen ein, die von dieser einmaligen Einheit von Mensch und Natur Zeugnis ablegen.

Die europäischen Eroberer und Siedler haben diese Kultur zerstört, diese Menschen wie Tiere behandelt, wie Aussätzige. Der spleenige Engländer Robert FitzRoy hat sich einen Spaß daraus gemacht, einen dieser Ureinwohner für ein Jahr mit nach England zu nehmen, ihn dort zu zivilisieren, ihn in eine Militäruniform zu stecken und dann wieder bei seinem Stamm abzuliefern. Der Junge, der Jemmy Button geannt wurde, habe nie wieder zu seiner ursprünglichen Identität zurückgefunden. Sein Stamm habe für dieses Experiment als Zahlung einige Perlmuttknöpfe erhalten.

Womit in der Nacherzählung der Nexus zur Militärdiktatur gegeben ist; im Film ist es die Ära Allende, die den Indios ihre Reservate zurückgegeben hat. Denn just ein Perlmuttknopf ist es, den Taucher am Meeresgrund vor der Küste Chiles als Ablagerung an Eisenstangen finden, die Gefolterten zum Beschweren umgebunden wurden, damit sie nach Abwurf aus einem Helikopter ins Meer nicht wieder auftauchten. Wie diese Leichen vorbereitet und verpackt wurden, dafür gibt es im Film eine detaillierte Rekonstruktion.

Als assoziativ-illustratives und nicht argumentatives Element schneidet Guzmán eine Aktion der Künstlerin Emma Malig in seinen Film, die eine exakte Landkarte Chiles von mehreren Metern Länge mit all den Verästelungen herstellt, die dieses Gebilde mehrfach anthropozentrisch deuten lässt.

Guzmáns Gedankenkonstrukte haben etwas Artifizielles und sind nicht so ohne Weiteres logisch und widerspruchsfrei darstellbar, aber sie werden mit beachtlichem ästhetischem Furor und Geschmack vorgetragen und stellen deutlich die Frage: wie kann es in einer harmonischen Natur zu solch furchtbaren Exzessen wie der Pinochet-Diktatur komme? Wie kann der Mensch so gegen die Schöpfung agieren – womit klar wird, dass es sich um einen bemerkenswert theologischen Film handelt, wobei die Aborigines das Wort Gott nicht einmal kennen, (casus knacksus, und das der Polizei auch nicht). So besehen könnte man Guzmán als Filmemacher in der nicht allzu dicht besiedelten Region von Terence Malik ansiedeln.

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