Das Glück ist in diesem Film von Jacques Audiard (Der Geschmack von Rost und Knochen, Ein Prophet), der mit Thomas Bidegain und Noé Debré auch das Drehbuch geschrieben hat, zuerst ein Ersatzglück.
Es ist nicht ein Glück, was aus geordneten und geplanten Verhältnissen entsteht, es ist nicht: Geburt in der Familie, Schule, Beruf, Liebe, Heirat und Kinder, alles bruchlos. Dieses erste, also das natürlich-biographische oder „reguläre“ Glück ist bei unseren Protagonisten in den Bürergkriegswirren in Sri Lanka zerstört worden.
Das Ersatzglück für Dheepan, Jesuthasan Antonythasan, Yalini (Kalieaswari Srinivasan) und die Schülerin Illayaal (Claudine Vinasithamby) ist, dass sie sich die Papiere einer ausradierten Familie besorgen und damit nach Frankreich ausreisen können.
Dort bleiben sie vorerst unter dem falschen Namen dieser Familie zusammen, kommen als solche in ein Asyllager in der Banlieu von Paris mit dem wundervollen Namen Le Prés, die Wiese. Plattenbauten der schlimmsten Art und Brutstätten der Kriminalität.
Dheepan bekommt eine Hausmeisterstelle in einem der Blocks und die Familie, die keine Familie ist, die eine Familie ist aus Menschen, die ihre Angehörigen im Bürgerkrieg von Sri Lanka verloren haben, eine Wohnung.
Französisch sprechen sie praktisch nicht. Aber „on se débrouille“, man wurstelt sich durch. Die Tochter kommt in eine Integrationsklasse und wird bald schon in die normale Klasse wechseln. Die Frau kann als Köchin und Putzfrau bei einem behinderten Herrn Habib im Wohnblock gegenüber arbeiten in einer Wohnung im obersten Stock. Dass sie 500 Euro dafür im Monat bekommt, ist für sie unfassbar. Dass Herr Habib eine Tarnfigur für die Drogengeschäfte von Brahim (Vincent Rotters) ist, dessen elektronische Fußfessel etwas über seine Vergangenheit erzählt, stört Yalini nicht.
Einige Informationen über diesen Wohnblock liefert uns Audiard aus der Perspektive der Wohnung der Hausmeisterfamilie, denn aus ihrem Fenster im Parterre können sie wie bei Hitchcock im Fenster zum Hof einiges an Aktivitäten gegenüber beobachten – und der Zuschauer damit.
Die Dämonen der Vergangenheit, die Gespenster, machen vor diesem Rückzugsort des Ersatzglückes nicht Halt und gefährden es massiv. Das ist der Spannungsfaden, den Audiard benutzt, um eine exakte Milieustudie mit großartigen Darstellern, die Geheimnisse und Abgründe haben, zu liefern, die schmerzhaft bewusst macht, wie schwer es ist, Kriegstraumata zu beschwichtigen, zur Ruhe zu bringen und mit einem erträglichen, kleinen Ersatzglück abzufedern. Für jenes winkt hier England.