Love

Gaspard Noé beleuchtet zu lässigem Musikgroove zweieinviertel Stunden lang in leider wenig ersprießlichem 3D aber voller Neugier und unter dem Motto der Tabulosigkeit bildschön die Essenzen von Liebespraxis und Liebesphilosophie.

Dass die Erzählung, die eine Aneinanderreihung von still und leise und schnell aneinander geschnittenen Momentaufnahmen, auch in dieser Weise aufgelöster Szenen, besteht, kreisförmig ist, dürfte dem Aspekt der Reproduktion in der Betrachtung der Liebe geschuldet sein, ergibt sich naturgemäß.

Noé möchte zeigen, dass Liebe etwas Natürliches, Menschliches ist, was selbstverständlich zum Leben gehört, was eine Qualität und einen Gehalt von Leben ausmacht. Anders ausgedrückt: mit diesem Film gibt Noé zu verstehen, dass er nicht versteht, wieso Liebe und Sex im bürgerlichen Alltag immer noch in vielen Bereichen tabuisiert sind.

Der Protagonist Murphy, Karl Glusman, ist Leben und Liebe zugleich und hat auch kein Problem, sich mit Electra, Aomi Muyock, und mit Omi, Klara Kristin, gleichzeitig zu vergnügen – die Frauen ebensowenig.

Die Liebesakte selber sind achtbare Pornographie mit allem Drum und Dran, aber auch mit einer Ebene drum herum, mit Gesprächen oder auch heftigen Krächen bis zu Eifersuchtsszenen sowie voice-over gesprochenem, innerem Monolog von Murphy, den Noé an einer Stelle scherzhaft mit Murphys Gesetz in Verbindung bringt, dass bei ihm alles schief geht, was schief gehen kann; insofern hat er Reflektionsstoff genug und der bekommt mit jedem Erlebnis, mit jeder Erektion neue Nahrung.

Murphy scheint ein Gefangener seiner unersättlichen Liebessehnsucht zu sein, möchte einerseits nichts auslassen, andererseits Beziehungssicherheit bis zum Ende. Einmal stellt er immerhin fest, dass ein Schwanz kein Gehirn habe und darunter scheint Murphy zu leiden.

Er ist ein sentimentaler Amerikaner in Paris, der hier das Filmemachen lernen will. Das gibt Anlass für eine kleine Szene mit Omi und Kamera im Bett, die Variante „privates Sexmovie“.

Zwischen den Sexakten stellt Noé Murphy mit Handy in einen Türrahmen, fotografiert ihn von vorn und von hinten, statisch, wie er seinen Frauen nachtelefoniert, wie ein begossener Pudel allein zum Bett geht und sich unglücklich fühlt. Seine Bewegungen sind dann erotisch ruhig so wie seine Stimme – als könne er kein Wässerschen trüben, als sei er der Diener seines Schwanzes und dass er möglicherweise ein eitler Gockel ist, kommt in diesen Momenten schon gar nicht in Betracht. Das fällt erst auf, wie er mit einem Zwitter konfrontiert wird, der/die ihn anmacht. Da sind Murphy und seine scheinbare sexuelle Toleranz richtiggehend überfordert.

Den wichtigsten künstlerischen Vergleichshinweis liefert Noé mit dem Plakat von Salo, das in Murphys Zimmer hängt und einmal ist er ganz entsetzt, dass einer Frau 2001 von Kubrick kein Begriff ist. Und dann noch „Birth of a Nation“. Es gibt eine Drogensequenz, Disco, Swingerclub, wo auch das Zuschauen zelebriert wird, Vernissage, Polizeistation und ein Polizist, der ein Referat über die Franzosen und die Liebe hält.

Themen im Film sind: Liebe, Toleranz, Ekstase, Rausch der Liebe, Unersättlichkeit, Sex und Sentimentalität, Sehnsucht nach Allverschmelzung, Geheimnisse machen einen Menschen stärker, Leben und Tod (Friedhofspaziergang), die Leere, Lieben und Haben (à la Erich Fromm Haben und Sein), Liebe mache die Menschen helle, Liebe als Schutzraum, Liebesschwüre, Angst um Liebesverlust, Angst vor dem Verlassenwerden, vor der Einsamkeit.

Für Noé gilt: was ihn bewegt, das will er bebildern.

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