Ob ein Künstler aufhören kann, ob ein Künstler in Ruhestand gehen kann und nur noch apathisch die Tage verbringen will, obwohl er fit ist wie ein Pferd, nicht mal die Prostata zeigt Schwächen, das ist eine der Fragen, die Paolo Sorrentino („Il Divo“, La grande Bellezza) in seinem neuesten, man darf es ruhig so nennen: Meisterwerk, welches rund und eckig zugleich ist, untersucht.
Wie in einer Monade, die das große Ganze der Künstlerwelt spiegelt, versammelt Sorrentino auf seinem Labortisch unter der Lupe einige Vertreter dieser Spezies in einem Schweizer Alpen-Kur- und Spahotel in Wiesen, Graubünden.
Weit über die Hälfte des Filmes bleibt das hermetisch, funkt die äußere Welt nur mit kuriosen Auftritten herein durch einen Emmissär von Her Britannic Majesty the Queen, die unbedingt ein Konzert von Fred Ballinger in London dirigiert haben möchte mit den „Simple Songs“, die ihn einsten berühmt gemacht haben.
Michael Caine spielt diesen Ballinger, den der Karriere gegenüber renitent und resistent gewordene Dirigenten mit stechenden Augen als Grandseigneur von Weltklasse. Aber er hat den Beruf hinter sich gelassen trotz bester medizinischer Checkresultate, er muss der Welt andauern erklären, dass er jetzt seine Tage nur noch apathisch verbringe.
Teils mit Gesprächen mit dem Filmregisseur Mick Boyle, den Harvey Keitel im Gegensatz zu Caines Ballinger eher nervös spielt. Boyle ist dabei, seinen finalen Film vorzubereiten. Er ist umgeben von einer Corona launig typisierter Nachwuchsintellektueller als Drehbuchschreibern.
Die Themen der beiden Herren gehen über frühere Liebschaften, das Erlernen des Radfahrens oder über Altherrenprobleme mit dem Wasserlösen, was zu trockenen Pointen im einstelligen Tropfenbereich führt oder plötzlich werden die beiden Alten im Wald Voyeure einer Sexszene – das ist kurios bis an die Grenze eines Altersnihilismus.
Familiär sind die beiden verbandelt. Die Tochter von Caine ist mit dem Sohn von Keitel zusammen. Die Tochter von Caine, Rachel Weisz als Lena Ballinger, ist auch die Managerin ihres Vater. Sie wird in diesem Film die Trennung von Julian verkraften müssen.
Die beiden alten Herren schließen im Dinner-Raum Wetten ab über das Verhalten anderer Gäste, ob ein Ehepaar an einem Nachbartisch überhaupt ein Wort miteinander sprechen werde. Das sind Momentaufnahmen aus dem Esssaal, die erinnern in ihren detailgenauen Beobachtungen an den Esssaal im Restaurant von Jacques Tatis „Ferien des Monsieur Hulot“ und können zum großen Puzzle zusammengesetzt werden kann.
Die Masseuse von Caine mit der Zahnspange ist so eine wunderbare Figur. Oder der Typ wie ein Sumo-Ringer, der schwer atmet, aber als Linksfüßer großartig mit einem Tennisball spielt. Es ist eine verspielte Welt, eine aufregende Welt aus lauter aufregenden Figuren, die gleichzeitig alltäglich sind, aber auch mal ein versponnener Einfall, der an Theaterinstallationen von Christoph Marthaler erinnert, Schlaglichter auf die verschiedenen Gruppen von Personal werfen oder wie Caine versonnen auf einer Kuhwiese sitzt und anfängt das Kuhkonzert zu dirigieren – und die Kuhherde reagiert tatsächlich auf sein Dirigat, hier könnte er von Carl Valentin inspiriert sein.
Ein gewisse Doppelung dieses Einfalls bietet das Konzert der Kuckucksuhren in einem völlig überladenen Souvernirshop. Jede Szene, jede Einstellung gibt einen neuen Blick auf diese merkwürdige Einrichtung in der Nähe von Davos, da kommt einem Thomas Mann der Zauberberg in den Sinn.
Es gibt Unterhaltung für die Herrschaften. Die Künstler, Sänger, eine Seifenblasenartistin und eine Alphornbläsergruppe stehen auf einer Drehbühne oder dem verehrten Publikum wird eine Hitlerparodie geboten; später wird der Darsteller darüber philosophieren ob es besser sei, Horror zu erzählen oder Sehnsucht/Lust.
Es schaut eine Miss Welt vorbei, die gar nicht so dumm ist, wie das Klischee von ihr verlangt. Mit Jane Fonda als Brenda Morel bricht wie eine Lawine eine ganz andere Geschäftsrealität in diese skurrile Alpengeruhsamkeit herein. Es kommt zu einem heftigen, höchst konventionell inszenierten Dialog und einer Abrechnung zwischen ihr und Caine, der sie in seinem letzten Film („Life’s last Day“) unbedingt drin haben möchte, schließlich hat sie ihm ihre Karriere zu verdanken.
Derweil bricht Caine aus dieser Monadenwelt aus, kann sich auf Drängen der Tochter doch zu einem Besuch bei seiner Frau in Venedig entscheiden, bringt ihr Blumen. Sie war einst seine Muse, seine Sängerin. Jetzt vegetiert sie dement vor sich hin. Das Grab der Strawinskys wird besucht, kannte der Dirigent doch den Komponisten.
So hat die Routinekulturaktivität plötzlich die Einfried-Stimmung eingholt und zerstört. So rafft der Film sich zu einem realkünstlerischen Schluss auf, der wiederum so konventionell schön ist, dass man das Kino gar nicht mehr verlassen möchte. So nah am Heute scheint mir Kino selten, am Thema Altern und Kunst und mit so viel Witz und Würde präsentiert mit einem handverlesenen und bestens eingesetzten Ensemble.