Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne

Liebe, Leidenschaft, Passion für die Kunst, für das Singen bedeuten noch lange nicht, es auch zu können. Wenn eine solch liebende Dilettantin nun noch die Mittel hat, vor großem Publikum aufzutreten, so mag das angehen im Privatschloss anlässlich eines Wohltätigkeitskonzertes zugunsten von Waisenkindern vor geneigtem Insiderpublikum, mag da gouttiert und beapplaudiert werden, denn man kennt und mag die ungewöhnliche Madame Marguerite und schließlich ist es für einen guten Zweck; der Baron, der behauptet, sie die Geldige habe ihn nur des Titels wegen geheiratet, er drückt sich vorm Zuhören mittels vorgetäuschter Motorpannen seines Rennautos, damals modisch; der Film spielt in den Goldenen Zwangzigern des letzten Jahrhunderts.

Diese Motorpannen sind ein Running Gag, ein psychisch kausaler Kontrapunkt zur Gesangskunst seiner Gattin in diesem Film nach einer wahren Geschichte von Xavier Giannoli, der mit Marcia Romano auch das Drehbuch geschreiben hat. Die angeblichen und echten Motorpannen finden immer auf einem Stück Straße im Niemandsland statt, das mit einem breiten Baum, einer Art Hinkelstein, vielleicht ist es auch ein Kriegerdenkmal, und einem Kreuz charakterisiert ist. Denn es ist ein Kreuz mit dieser Frau, die im weiteren Film den Eindruck erweckt, eine wirklich Liebende zu sein, sowohl ihres Mannes, der sich ganz cool eine Maitresse hält, als auch des Gesanges.

Ein Musikfilm insofern als er ein breites Potpourri an Opernausschnitten und auch von Händel bringt und bis auf einige gezielte Fauxpas von Madame, die ans Tragikomische grenzen, durchaus erträglich zum Zuhören ist.

Ja, es ist tragisch, wenn eine Person, Catherine Frot spielt sie hinreißend empathieerzeugend, so voller Liebe für etwas ist, und die Umwelt bestärkt sie noch darin, zementiert ihre Lebenslüge, und sie kann es doch nicht.

Die Geschichte nimmt eine tragische Wendung. Sie fängt mit einem Wohltätigkeits-Konzert im Schloss an, bei welchen immer auch junge Künstler gefördert werden. Da haben sich zwei Jungspunde von Dichter und Musikkritiker reingeschmuggelt. Sie trauen ihren Ohren nicht und machen sich einen Jux daraus, der Dame eine extravagante Kritik zu schreiben. So dass diese aus dem Häuschen gerät, die Redaktion besucht; ja sie wird von den beiden lockeren Buben ins Opernhaus geführt, darf unterm Bühnenboden zuhorchen und nach der Vorstellung auf die Bühne. Das hat ihr tiefstes, künstlerisches Gefühl geweckt, das Verlangen in der ehrlichen, kritischen Öffentlichkeit aufzutreten.

Dahin ist ein Stück Weges. Auf diesem muss sie Musikstunden bei eben dem Bajazzo nehmen, der seinen Zenith überschritten hat und den sie hat singen hören, bei dem aber – eine weitere kleine Nebengeschichte aus dem Nähkästchen der Kunst und der Musik – auch eine Garde von beruflichen Claqueuren aus den temperamentvollsten Ländern nichts mehr retten kann.

Der Film bewegt sich ab da in seiner nicht unbedingt grazil und schlank zu nennenden Form, nein, einer, die sich eher den schweren und offenbar auf Perfektion hin rekonstruierten Innenräumen anpasst, aber in gut durchdachter Abfolge der Bilder, die nie das Ziel aus den Augen verlieren, auf den Höhepunkt des öffentlichen Konzertes zu.

Der Film entlässt den Zuschauer mit Gedanken zu den Themen Wahrheit und Kunst, Liebe und Lebenslüge und zur Kraft der Einbildung, Kunst und Wahn. Er erzählt seine Geschichte in 5 Kapiteln, deren letztes „Wahrheit“ heißt und Tragik verspricht.

Eine Zwischenstufe auf dem Weg dahin ist Marguerites Skandal-Auftritt als Sängerin der französischen Nationalhymne in einer anarchistisch-futuristischen Kunstaktion; diese gibt einen aufregenden Eindruck von dem künstlerischen Aufruhr, der damals herrschte, zusätzlich garniert mit Einblicken in die Jazzszene.

Schöner Satz über den Sänger, der ihr Unterricht geben soll: er war ein großer Künstler, jetzt ist er ein großer Pädagoge.

Die Bedingungslosigkeit von Marguertes Hingabe an die Dinge wird auch dadurch charakterisiert, dass sie nur „weiß“ isst, klar, Symbol für naive Unschuld. Oh la la, die Wahrheit kann manchmal schwer zu ertragen sein.

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