Keine Dystopie.
Entspannte japanische Natur- und Familienmeditation, ein Kunstfilm von Naomi Kawase.
Hier macht nichts Angst, hier machts nichts nervös, hier verbreitet niemand Panik oder Hysterie. Alles nimmt seinen Lauf, das Leben, die Natur, die Liebe und das Sterben. Hier müssen die Schuljungs die Hemden in die Hosen stopfen, bevor sie in ihren Schuluniformen die Schule betreten.
Kaito und Kyoko gehen auf eben diese Schule. Zwischen ihnen bahnt sich eine erste, zarte Liebe an. Sie fahren zusammen Rad über wellige Strassen, Kaito auf dem Sitz und Kyoko stehend hinter ihm. Die Mutter von Kyoko liegt im Sterben und die Eltern von Kaito leben getrennt. Dadurch erhält der Film die Chance für einen Ausflug in die große Stadt, nach Tokio, wo Kaito seinen Vater besucht, der mit einem Kollegen ein Tattoo-Studio betreibt.
Alle Figuren in diesem Film sind nicht nur hübsch, sie sind alle auch richtiggehend entspannt. Die Eltern von Kyoko sind angetan von dem jungen hübschen Freund, der im Film als delikat beschrieben wird, als einer, der kein Draufgänger ist, kein Surfer. Das harmonischste Bild junger Liebe gibt die filmische Mediation mit der Unterwasserkamera, wenn die beiden als perfekte, nackte Körper nebeneinander tauchen in relaxten Zügen.
Zwischen den Menschenszenen schneidet Naomi Kawase ausgiebig Naturaufnahmen, von der heftigen Flut, gar von Sturm, mit Flügen über eine bewaldete Gegend.
Der Storyfaden ist so dünn gehalten wie möglich. Und selbst der Ausbruch von Kaito, der der Mutter schwere Vorwürfe macht, dass sie mit anderen Männern schlafe und ihrem Mann, von dem sie getrennt lebt, nicht treu sei, erscheint wie eingebettet in eine Umhüllung aus Non-Aggressivität.
Kyoko dagegen reagiert merkwürdig auf den Tod ihrer Mutter. Jetzt möchte sie Sex mit Kaito haben. Der lehnt ab. Intermezzi sind traditionelle, japanische Lieder. Und selbst wenn eine Ziege geschlachtet wird, was zweimal vorkommt, so wohnt dieser Töthandlung etwas Sanftes und Natürliches inne. Denn zuvor wird die Ziege an der Stelle am Hals, wo der Schnitt erfolgen soll, sorgsam rasiert. Vom Schnitt bis zum letzten Atemzug gibt sie noch lange Töne von sich. Das zu ertragen fällt Kaito allerdings schwer, hier wird er ungeduldig, fragt, wie lange das denn noch dauere.
Im Film entsteht die Verbindung zwischen den beiden Jungliebenden über die Entdeckung einer Wasserleiche. Die führt kurz zu einigen Auftritten von Polizei und Fragen, ob Verbrechen oder Unfall. Der Kriminalfall dient aber nur der Illustration des Themas Liebe und Tod, um einen Bezug herzustellen, einen abgründigen.
Schönstes Symbol für ein langes Leben im Film ist der 400 bis 500 Jahre alte Bayan-Baum, der vor dem Restaurant der Eltern von Kyoko steht. Auch das strahlt der Film aus: eine ruhige Lebensweise auf dem Land mit genügend Raum zum Wohnen, nicht eingezwängt zwischen irgendwelche Nachbarn, direkt in der baumhaltigen Natur und am Meer; Zufahrtstraßen werden in den Bildern ausgeblendet, kommen nicht vor; ein wohlorganisiertes Leben, das sich um die großen Themen kümmern kann, das sich nicht mit Versicherungs-, Steuer, Einkaufs- Miet- oder Umbauproblemen beschäftigt.
Wie der Traum vom Leben auf der Insel. Ein Atmosphärenfilm, ein Abtauchfilm, ein Eintauchfilm, Poolkino. Die ewige Schlaufe des Lebens wie Ebbe und Flut, wie Sonnenschein und stürmisches Regenwetter. Erinnert an die gerundete anthroposophische Weltsicht. Alles ist ganz natürlich und geht seinen Lauf.