Den Menschen so fern – Loin des hommes (Filmfest München)

Algerien im Atlas 1954. Der Algerienkrieg tobt (der wirkt allerdings mehr wie ein laues Lüftchen, wenn wir an die Informationen denken, die heutzutage die blutigen Gotteskrieger produzieren).

Ein ehemaliger Offizier arbeitet als Lehrer im Niemandsland, ein Franzose, der mit seinen Eltern in Algerien aufgewachsen ist, und dort also als „Schildkröte“ galt, als Algerier französischer Herkunft; ein Mann durchaus mit Identitätsproblem, allein, da ihm seine Frau gestorben ist, und mit pädagogischer Mission. Er will den Kindern Lesen und Schreiben und auch Französisch, die französische Kultur beibringen auf einsamem Außenposten.

Ein Schulgebäude nur von Geröllhängen umgeben. Wo die Kinder herkommen, bleibt außerhalb des Bildes. Ein existenzialistischer Rahmen, den David Oelhoffen als Autor und Regisseur nach einer Kurzgeschichte von Albert Camus baut, eine Atmosphäre, die an andere Camus-Texte erinnert, „La Peste“, die Sonne, die dort als Gewalt empfunden wird. Diese Grundhaltung wird noch ausgeprägter, wie dem Lehrer ein Gefangener (er muss mit gefesselten Händen und an einen Strick gebunden hinter einem Reiter herlaufen) zufällt.

Der Lehrer Daru (so möchte Mohamed ihn nennen), es ist Viggo Mortensen, der den Film auch mitproduziert hat – allein seine hageren Gesichtszüge machen die 50er Jahre schon glaubhaft, Daru also soll den Gefangenen, ein extremer Gegentyp zu ihm, der sehr zu leiden scheint, einen Tagesritt weit weg vor Gericht bringen, wo Mohamed, Reda Kateb, das sichere Todesurteil erwartet.

Mohamed ist in seinem Dorf innerhalb eines Blutrachezyklus des Mordes angeklagt oder auch des Diebstahles von Getreide, das spielt keine Rolle. Es geht um Menschlichkeit, die sich gegenseitig in einem Niemandsland ausgesetzt ist. Indem selbstverständlich erwartbar wird, dass der Lehrer seinen Auftrag ganz bestimmt nicht ausführen wird. Als erstes befreit er den Gefangen von seinen Fesseln. Später kümmert er sich um dessen Gesundheitszustand, er ist zwar wachsam, auf der Hut, erkennt aber, dass der bestimmt nichts Böses im Schilde führt. So wird Daru zum Samariter.

Aber es sind auch marodierende Terroristen unterwegs. Die Gegend ist gefährlich. An ein Bleiben im Schugebäude ist nicht zu denken. Der Lehrer schreibt an die Tafel, dass der Schulunterricht am nächsten Tag ausfallen wird, dass die Klasse geschlossen bleibt. Die beiden ziehen los. Sie erinnern an Westernpaare. Der Existentialismus zieht mit ihnen. Bis zum Moment, wo französische Besatzertruppen ein Massaker verüben nach wildem Schlachtengetümmel. Hier scheint sich der Existentialismus plötzlich aus dem Film verflüchtigt zu haben, auch wenn Daru aus allen Leibeskräften zu Mohamed schreit: du lebst!.

Der Existentialismus schleicht sich erst nach dem Pfuffbesuch der beiden einsamen Reiter wieder ein. Und entlässt den Zuschauer mit einem heutzutage seltenen Kinogefühl aus dem Dunkel: einer Sache beigewohnt zu haben, die in der heutigen Zeit keinen Platz mehr hat: Zeit des Menschen für den Menschen. Schicksalsgemeinschaft in der Wüste. Menschentum als Schicksalsgemeinschaft. Die Regenszene wirkt wie ein Intermezzo in einem Kino mit Pause.

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