Ein Junge namens Titli

Das indische Kino macht sich auf den Weg europäischen Denkens.

Hier dürfte ein inspirierendes Vorbild das Kino der Gebrüder Dardennes sein: sich dicht an die Fersen des Protagonisten heften, das ist Shashank Arora als Titli, und mit ihm erleben, was er auf seinem Weg zur Befreiung aus den Fängen seiner „Familie der Hölle“, des kriminellen Vaters und seiner zwei Brüder und aus dem Slum erlebt und wie es ihm hart eini geht.

Das gibt Gelegenheit zu einer drastischen Schilderung indischer Verhältnisse einmal in Bezug auf Armut und das aussichtslose Leben im Slum, andererseits zum Umgang mit den Frauen, der in letzter Zeit weltweit Aufsehen erregt hat, wie sie gar nichts gelten, wie Gruppenvergewaltigungen in Autobussen ein lässliches Delikt sind.

Allerdings erreicht Kanu Behl, der mit Sharat Katariya auch das Buch geschrieben hat, den bei uns gewohnten Standard an Performance nicht. Was er aber bietet, das ist das sture Dranbleiben am Problem und an den Verwicklungen und das wird auch immer wieder diskutiert, mitunter arten die Diskussionen in grobe Rangeleien aus, von uns aus gesehen durchaus mit übertriebenem Spiel.

Es sind die Geldprobleme, die die Figuren zum Handeln antreiben. Der kleine Laden, den der Vater mit seinen drei Söhnen betreibt, wirft nicht genügend ab. Sie verdienen sich mit drastisch und blutig geschilderten Überfällen auf Autofahrer ein Geld dazu.

Titili schlägt aus der Art, obwohl er die beschissene Verbrecherader genau so in sich hat. Aber er will raus. Er ist im Gespräch mit einem Immobilienhai, er möchte für sein sauer Erspartes ein Parkhaus kaufen, wobei mir die Relation zwischen Investitionsbetrag und Preis des Parkhauses nicht plausibel einleuchtet.

Die Sache wird kompliziert dadurch, dass der Bauherr plötzlich 30’000 Rupien mehr verlangt als die verabredeten 270’000, die sich Titli erspart hat. So steht er vor einem dummen Konflikt. Hinzu kommt seine von den Vätern arrangierte Hochzeit mit Neelu, Shivani Raghuvanshi. Die Sache kompliziert sich weiter, dass sie zwar eine schöne Mitgift mitbringt, aber in ihren verheirateten Cousin Prinz verliebt ist und auch eine Liaison mit diesem pflegt. Hinzu kommt, dass der älteste Bruder von Titli, der seine Frau immer wieder brutal geschlagen hat, damit konfrontiert wird, dass sie die Scheidung eingereicht hat und auch noch eine Forderung von 500’000 Rupien stellt.

Jetzt kann nur noch ein großer Überfall helfen. So spitzen sich die Stränge zu.

Die Milieus schildert Kanu Behl einmal über die trostolose Architektur von Hochhausrohbauten, dann der Slums mit einfachster Einrichtung und zugemüllt und im Gegensatz dazu das feine Stadthaus von Prinz.

Die expressive und übertriebene Spielart, häufiges, mit unangenehmen Nebengeräuschen verbundenes Zähneputzen oder auch immer wieder mit den Händen essen sind weitere Mittel der Charakterisierung, die bis zum gezielten Armbrechen gehen, damit Jeelu nicht falsch unterschreiben kann.

Es ist der Versuch von Kanu Behl, sozial engagiertes Kino zu machen, wobei sich die Frage stellt, ob der Film mehr für den internationalen Festivalmarkt gedacht ist oder dafür, in Indien Diskussionen und womöglich Veränderungen auszulösen. Wobei für mich ein Problem ist, dass diese Männer um Titli alle deppert wirken, auch Titli manchmal; da scheint mir kleine klare Figurexposition vorhanden zu sein.

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