Survival of the Fittest, Wildnis, ist das titelgebende Thema dieses Filmes des Holländers Mark Verkerk.
Das Neue an dieser Wildnis ist, dass sie noch sehr jung ist und mitten in Europa im zivilisierten und kultivierten Holland in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Sie heißt Oostvaardersplassen und entstand auf einem Stück Landgewinnung. Hier wollten die Holländer Industrien ansiedeln. Stattdessen entstand diese neue Wildnis, die in 93 Minuten über alle vier Jahreszeiten eindrücklich und spannend potraitiert wird.
Am härtesten ist der Überlebenskampf im Winter. Es gibt Tiere, die nicht mithalten können, die sondern sich von ihrer Herde ab und legen sich in eine Kuhle zum Sterben. Die Landschaft besteht aus Wasser, Sümpfen, Grasland, Buschland. Sie beherbergt die größte Herde von wilden Konikpferden, die für aufregende Filmaufnahmen und auch Einblicke in ihre Sozialstruktur gut sind. Mit diesen Pferden unabdingbervunden ist der kleine Kreislauf an Lebenssymbiosen, der sich um deren Dung bildet, wie dieser sowieso für die soziale Kommunikation unter den Pferden von enormer Bedeutung ist.
Survival of the fittest auch unter den Pferden. Eine kleine Story ist die Geschichte des schwarzen Stutenfohlens, das von Anfang an schwächer ist als sein Bruder, das sich im Sommer nicht genügend Fett anfrisst und im Winter mit dem Leben dafür bezahlt. Aber das vielfältige Biotop dieser Wildnis deckt mit solchem Aas wieder den Tisch von anderem Getier, von Füchsen, Raben und Gewürm.
Die Kamera sieht im Flachland auch die großartigen Gelände- und Himmelsbilder, lässt das Wetter gelegentlich im Zeitraffer ablaufen. Vor einem Gewitter sind alle Tiere irritiert. Die Kamera geht, das ist technisch kein Problem mehr, sehr nah an die Tiere ran, dass man meint, ihren Atem zu verspüren.
Es kommen Vogelschwärme vor, die grandiose Zeichnungen am Himmel ausführen. Es gibt riesige Hirschherden. Ein einziges Mal sieht man zwei Menschen, die über Eis laufen als Schatten, sonst nicht ein Zeichen von Zivilisation, nicht mal Flugzeuge sind zu hören, die doch 30 Kilometer von Amsterdam entfernt bestimmt vernehmlich donnern. Vielleicht will uns der Film in dieser Beziehung mehr Zivilisationsenfremde glauben machen als wirklich da ist.
Es gibt Eisvögel, Graugänse, Frühlingsseidenbienen, Erdhummeln, Biber, die Nachtigall, Rohrdrommeln, Schilfrohrsinger, Silberreiher, Dungfliegen, Stieglitze, Fliegen, Kormorane, Kaulquappen, Wasserratten, Ameisen, Graugänse, Stabschwänze, Kohlweißlinge und undendlich viel anderes Getier, was da kreucht und fleucht.
Wohltuend an diesem Naturfilm ist, dass er sich auf ein einziges Biotop beschränkt und nicht dieses sensationsheischende Event-Hopping quer über den Globus betreibt. Ferner ist aufregend, dass diese Wildnis in unserer Zeit vor unseren Augen entstanden ist. Wobei mich schon interessieren würde, wie die Wildpferde dahin gekommen sind, und ob der Mensch da nicht mitgeholfen hat.
Die deutschen Texte von Hannes Jaenicke sind zumindest nicht allzu störend, wiewohl er sie mit recht spitzer Zunge serviert.
Eine Sinfonie der Natur, den Eindruck erweckt die musikalische Untermalung.
Ein Film ohne Krebs, ohne Alzheimer, ohne deutsche Förderung. Dafür mit trauernden Pferden.
Naturfilme trauen den Zuschauern immer zu wenig zu. Dieser allerdings unerscheidet sich von einer ganzen Reihe neuerer Naturfilme (zuletzt Afrika, das magische Königreich) dadurch, dass er erzählt, was Wildnis ist, was Überleben in der Wildnis bedeutet – und das mitten im hochzivlisierten, hochsubventionierten Europa. Es bedeutet: dass die Schwächeren nicht subventioniert werden, dass sie eine Weile mitgezogen werden, wie das schwarze Fohlen, aber dass sie dann würdig zugrunde gehen dürfen.