Den höchsten und wahren Genuss dürfte bei diesem Film von Roy Andersson derjenige erhalten, der mit der Einstellung eines Besuches einer Kunstausstellung, die man ganz genau betrachten soll, ins Kino geht.
Zwei tragikomische Existenzclowns und Scherzartikelhausierer führen uns durch Roy Anderssons, des Schweden, wundersames Universum aus merkwürdigen Fundstücken. Jonathan und Sam sind selber Teil dieser Welt, die man am besten, besser noch als im Kino, vermutlich in einer Kunstgalerie betrachten sollte, um in die richtige Betrachteratmosphäre einzutauchen, denn die Bilder sind wie Zeichnungen mit der Präzision und Kargheit eines Sempé inszeniert und präsentiert, eine durch und durch künstliche, durch und durch inszenierte Welt mit nichts Überflüssigem. Die Kamera behält die Position des Zeichners hinter seinem Blatt, bleibt statisch, schaut zu, was sich an Sonderlichkeit und durch die Jahrhunderte abspielt und nimmt verwundert zur Kenntnis, dass es immer die anderen sind, denen es gut geht. So jedenfalls zu schließen aus einer Menge Telefonate von verschiedenen Darstellern, die gerne sagen, gut zu hören, dass es Euch gut geht.
Unseren beiden Tramps geht es nicht ganz so gut. Sie haben in ihrem Warenkoffer den langjährigen Hit „Vampir-Gebiss mit besonders langen Zähnen“, den altbewährten Lachsack und als vielversprechende Neuheit die Horro-Maske mit dem einen Zahn. Aber verkaufen tun sie nicht, verdienen tun sie nicht, selbst wenn ein Laden etwas gekauft hat, dann wird nicht bezahlt. Schuldner steigen ihnen in ihrer Unterkunft, die mehr wie ein Gefängnis mit Pförtner ausschaut denn wie ein heimeliges Wohnhaus, auf die Bude; zum Glück werden sie nicht reingelassen.
Es ist nicht unbedingt ein dramaturgisches Konzept erkennbar in diesem Film, der ganz klar kein Action-Film noch eine Romantic-Comedy noch ein Unterhaltungskiste sein will, es wirkt mehr so, als fördere Roy Andersson, wie von einem Flohmarkt der Menschheit immer wieder Überraschendes an Hinterlassenschaften zutage.
Andererseits gibt es einige Ort, die wiederholen sich. Ein Ballettsaal, in dem die füllige Lehrerin dauernd den Körperkontakt, vorgeblich als Haltungskontrolle, mit dem jungen, schlank gewachsenen Vortänzer sucht, es gibt eine Kneipe, deren ältester Stammgast schon seit 60 Jahren hier seinen Schnaps trinkt, es gibt ein Unterhaltungslokal mit Bar und Musicbox, hier wird Karl der XII mit seinen 100’000 Mann vorbeireiten und einkehren und mittels eines für seine Diener demütigenden Rituals vom Pferd steigen, um den jungen Barkeeper anzuhimmeln. Auch hier treibt Anderson ein erhellendes Spiel mit den Mitteln des Kinos. Später werden Karl und seine Truppen geschlagen zurückkehren und seine Majestät, der nur noch auf dem Pferderücken liegt, muss dringend zur Toilette. Aber nach einem verlorenen Krieg kann eine solche auch für einen König schon mal besetzt sein.
Es gibt sogar das menschliche Drama der Trennung unserer beiden Scherzartikelverkäufer, richtig tragisch wirkt das in einer Szene in einem Niemandsland zwischen einem Bahngleis und einer Industriebrache.
Allein wie die eine oder andere zwischengefügte Außenaufnahmen fotografiert ist, ist grandios, auch die Landschaft, vor der das Heer von Karl vorbeizieht, die man von der Musikneipe aus sieht.
Nicht nur dass es immer den anderen gut geht, wir werden auch Zeuge von schauderhaften Tierexperimenten an Affen und noch schlimmer, Kolonialzeit, eines Vorganges, bei welchem angekettete Schwarze in einen riesigen Metallzylinder einsteigen müssen, eine Zentrifuge, die nach außen mit lauter Blasinstrumenten bestückt ist. Wie die Briketts eingefüllt sind, wird die Zentrifuge geschlossen und unter ihr das Feuer angezündet, so fängt sie an, sich zu drehen und die Schreie der Schwarzen gelangen als sanfte Blasmusik in die Außenwelt.
Zur Künstlichkeit und zeichnerischen Stilisierung trägt auch bei, dass sämtliche Figuren maskenhaft weiß geschminkt sind, dass sie keine privatistischen Bewegegunen machen, dass sie oft in starren Haltungen verharren. Nur wenn die hinkende Lene Schnaps ausgibt, bewegt sich der Chor der Kneipenbesucher und junger Soldaten in einer Reihe auf sie zu, holt sich gegen Küsse den Schnaps. Das erinnert an Bühnenperformances eines Christoph Marthaler.
Als Vorspiel gibt es drei Tode mit merkwüridgen Reaktionen drum herum, vom Nicht-Bemerken über die Erbgeier, die ihr Werk schon vor dem Eintreten des Todes anfangen, bis zum bereits bezahlten Kantinenessen, das der Tote nicht mehr zu sich nehmen kann.
Den Epilog bilden Schilderungen zum Thema „homo sapiens“, die den Begriff radikal in Frage stellen.
Die beiden Jonathan und Sam könnten auch als eine Variante der beiden Clochards Wladimir und Estragon aus Samuelt Becketts „Warten auf Godot“ gesehen werden.
Hinkelottes Kneipe in Göteborg.
Die Zentrifuge angeschrieben „Boliden“.
Im Trödelhaufen, den die Menschheit hinterlässt, gewühlt und unglaubliche Fundstücke zu Tage gefördert.