Ein Geburtstag in Marseille – Café Olympique

Ein Geburtstag ist etwas Zwiespältiges, etwas Statisches, etwas nicht weiter Hinterfragbares, etwas Unumstößliches. Trotzdem gehen viele Menschen erwartungsvoll auf ihn zu. So auch Ariane Ascaride als Ariane.

Nach einem Intro durch eine futuristisch-graphisch-anonyme Stadtlandschaft à la Tati landen wir in ihrer Küche, wo sie sich auf die Gäste vorbereitet. Wartezeit. Was wenn sie nicht kommen? Robert Guédiguian, der mit Serge Valletti das Drehbuch geschrieben hat, beantwortet die Frage nach dem Geburtstag auf seine Weise in der Art eines Geschenkkorbes aus Nostalgie und Hommage, der wirkt wie ein Stilleben aus verharrender Verehrung, schildkrötenbeschwingt. Er selbst sieht den Film laut Presseheft als eine Verbeugung, schreibt vom Unterzeichnen von „Schuldscheinen“ vor Pasolini, Tschechow, Brecht, Aragon, Jean Ferrat und Jean-Paul Sartre, er denkt an Carné-Prévert, Godard, Bob Fosse, Fellini.

Ein reiches Gemälde, das Guédiguian vor uns ausbreitet, immer wieder koloriert mit Chansons. Ariane wartet, aber die Geburtstagsgäste sagen einer nach dem anderen ab oder lassen über Boten Blumen schicken. Diese Buketts wird Guédiguian nun ausmalen.

Ariane verlässt ihr Zuhause. Allein feiern mag sie nicht. Sie wohnt im Süden Frankreichs. Der deutsche Titel heißt „Ein Geburtstag in Marseille“. Sie wird neue Menschen kennenlernen. Sie wird in einer Idylle von Hafen und da in einer Gruppe von Menschen um das Touristenrestaurant „Café l‘ Olympique“ landen, so der französische Originaltitel. Sie wird Menschlichkeit erfahren, sie lebt jenen Traum von Ruhe und Ferne zu der Hektik, die die moderne Wirtschaft und der Kapitalismus überall verbreiten. Sie wird im Restaurant mitarbeiten. Sie kann im Boot übernachten. Sie freundet sich mit der Schildkröte an, die mit ihr spricht. Es gibt das chinesische Paar, das die Küche macht, es gibt Martial, der seinen afrikanischen Träumen nachhängt, und der Missgeburten von Meerestieren, die im Naturkundemuseum in großen Gläsern in Formalin eingelegt sind, befreien will (führt zu einer lauschigen, nächtlichen Pfadfinderaktion).

Ariane sucht die Freiheit. Dazu gehört bei ihr auch das verschüttete Singen, denn ihre Mutter war Sängerin, sie konnte das aber nie zulassen. Im Restaurant gibt es den dichtenden Stammgast und Amerikaner Jack, der manche Weisheit zum Besten gibt. Und den Jungspund Raphael, der seine bildhübsche Lola auch mal ohrfeigt.

Allerdings scheint es, dass Guédiguian vor lauter Begeisterung für die Verehrung ganz aus dem Auge verloren hat, dass er uns eine Geschichte erzählen möchte. Falls nicht, falls es mehr eine Philosophiererei über den Geburtstag an sich und den von Ariane im Besonderen ist, so erschließen sich Interpretationen nicht so ohne weiteres, eigentlich gar keine. Höchstens, dass der Mensch Angst davor hat, diesen Jubiläumstag allein zu verbringen.

Ein Retro-Bukett. Ausdruck der Sehnsucht nach einer Welt mit freundlichen Menschen, die sich nicht durch Wettbewerb gegenseitig kaputt machen. Sehnsucht nach einer Welt, in der der Mensch dem Menschen kein Wolf ist. Die Sehnsucht nach dem Sein, „je suis de plus en plus“, ich bin immer mehr. Die Sehnsucht nach der Natur gegen das Wüten des freien Wettbewerbes. Die Sehnsucht nach der Zeitlosigkeit von Meer und Hafen und Theater. Die Sehnsucht nach Freiheit, hier als Freiheit ohne Regeln und ohne Haken, an denen eine Spannung festgezurrt werden könnte. Ein Traum, besonders einer von Freiheit, kann sich ziehen, so wie man gerne beim Aufwachen aus einem Traum, diesem noch im Halbschlaf ewig nachhängen möchte. Wobei er allerdings konstant auf der Stelle tritt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert