Eine rasend schnelle, blitzwache Dokumentation von Brad Bernstein (USA 2012) über das Multitalent von Zeichner Tomi Ungerer (Der Mondmann), der Zeit seines Lebens unter dem Kindheitstrauma Vaterverlust, später der Nazischulzeit gelitten hat; der aber Traumata als Auslöser von Kreativität sieht, worüber sollte er sonst nachdenken, und der diese in seinen Kinderbüchern auch behandelt, darin muss das Furchterregende vorkommen, denn die Kinder müssen sich mit der Angst auseinandersetzen.
Tomi Ungerer stieg in New York, wo er 1956 mit 60 Dollar angekommen ist, in kurzer Zeit als Zeichner in die Top-Klasse auf, zeichnete ein Kinderbuch nach dem anderen, erhielt Preise dafür, Elogen in der New York Times. Er brach Tabus, wurde dadurch auch viel angefeindet.
In der aufkommenden Unruhe der 60er verarbeitete er auch politische Probleme, Vietnam („Kiss for Peace“), Rassentrennung. Er malte einprägsame Plakate dazu. Gelernt habe er das bei den Nazis, das Plakat als Faustschlag. Effektvoll. Das war aber auch die Zeit der sexuellen Revolution. Auch die brachte er wach und offen zu Papier, fing an Ideen zu entwickeln und mit den Ideen erweiterten sich auch seine Erlebnisbereiche.
Erfolgreich Kinderbücher zeichnen und gleichzeitig pornographische Zeichnungen publizieren, noch dazu unter demselben Namen, das konnte im prüden Amerika nicht lange gut gehen. Ungerer erinnert sich noch sehr gut an jenen Abend der Vorstellung eines Kinderbuches, wie er in der Diskussion auf diese anderen Werke angesprochen wurde. Das löste wie man heute sagen würde einen Shitstorm der Entrüstung aus, eine richtige Hetze, so dass alle seine Bücher in den Vereinigten Staaten verboten wurden und aus den öffentlichen Bibliotheken entfernt werden mussten. Er habe dann kurz die Contenance verloren und gesagt, wenn nicht gefickt würde, dann gäbe es ja keine Kinder und dann bräuchte man auch keine Kinderbücher mehr.
Ungerer hat ständig Puppen in Atelier, an denen er rumdoktort, eine habe AIDS, dafür ziehe er für die Behandlungen und Operationen Gummihandschuhe an.
Der Film von Brad Bernstein ist einerseits ein rasender Schnellabriss des gigantischen, zeichnerischen Werkes von Tomi Ungerer, wie schon sein Vater sehr begabt gewesen sei, ist eine Reise zu den Orten seines Wirkens: Straßburg, Colmar (hier hat der Isenheimer Altar von Matthias Grünewald ihn geprägt; den hat er immer studiert, wenn er auf den Bus warrten musste, denn der Eintritt war frei), New York, Kanada, Irland. Angenehm wenige und kurze Statements von Kollegen, einer Dame vom Tomi Ungerer-Museum, einem Historiker, einer Kinderbibliothekarin, einem Kinderbuchautor, einem Kritiker und Kinderbuchautor, einem Comiczeichner, einem Literaturwissenschaftler und der Tochter des Zeichners.
Der Hauptmasse des Filmes ist ein Interview mit Tomi Ungerer selbst. Er plaudert drauf los, ein unerschöpflicher Quell, kein Geschwätz, immer geht es um die Begründung, das Need zur Kunst, die Widersprüche, die Traumata, der irre Strom an Ideen, der in ihm fließt, so dass er sich manchmal vorkomme wie ein Zahnarzt in seiner Praxis, mit einem Wartezimmer voller Ideen, die er noch behandeln müsse.
Nach der Hetze in den USA hat er 25 Jahre lang kein Kinderbuch mehr gezeichnet. Inzwischen ist der Bann gegen ihn aufgehoben. Und er hat wieder ein Kinderbuch gezeichnet. In Irland scheint er eine gewisse innere Zufriedenheit gefunden zu haben.
Ungerer schaut immer noch aus wie ein Schuljunge, voller Neugier, voller Wachheit, nicht ohne Schlauheit (die haben sie gegen die Nazis gebraucht).