Ein Abhakfilm. Nicht die schlechteste Lösung für ein Biopic, das viel private Ichausbreitung betreibt, wenn auch vor europäisch-historischem Hintergrund, um es dennoch spannend und temporeich zu gestalten.
Die Autorin (Roman: Titos Brille) und Schauspielerin Adriana Altaras (68 Credits bei IMDb leidet unter den Dibbuks ihrer Vorfahren, das sind die Gespenster der Toten, die die Überlebenden nachts nicht schlafen lassen und sie leidet als Jüdin sowieso an einer Überdosis an Geschichte. Sie möchte sich von diesen Geistern befreien. Eine befreundete Wahrsagerin rät ihr zu einer Reise in die Vergangenheit, an die Orte ihrer Geschichte.
Wie auf einem Einkaufszettel werden die Namen und Orte nun aufgeschrieben und abgehakt. Das ergibt vorerst einen spannenden und interessanten Einblick durchs Schlüsselloch ihrer Geschichte, bringt uns gleichzeitig ein Stück heutiges jüdisches Leben in Deutschland näher; das ist vielleicht das Wichtigste an diesem Film, der just aus diesem Grund mir eher fürs Fernsehen mit seiner Mission geeignet scheint denn fürs Kino; dafür kommt die Geschichte zu privat rüber oder wurde von der Filmemacherin Regina Schilling nicht genug auf Kinotauglichkeit überprüft. Das Tragegerüst für einen Kinofilm fehlt, nur Abhaken eines Einkaufszettels ist dafür zu wenig.
Die Geschichte von Adriana Altaras ist hochkomplex und mit der europäischen Geschichte verwoben. Ihre beiden Elternteile waren anerkannte Bürger in Deutschland und mit Verdienstkreuzen ausgezeichnet, der Vater als Radiologe, die Mutter als Wiederaufbauerin einer Synagoge in Gießen.
Der Krieg hatte sie aus Jugoslawien nach Deutschland fliehen lassen. Der Vater, ein Frauenheld, Opernliebhaber, Bonvivant und Espressoconnoisseur hatte 6 Brüder. Deren Vater wiederum war ein Spieler und sei erschossen worden, weil er sich, als es brenzlig wurde, nicht vom Spieltisch lösen konnte. Das war in Kroatien.
Ruckzuck erledigt Adriana den Weg durch ihre Herkunft mit dem alten Mercedes ihres Vaters und mit viel Humor. Ausgangspunkt ist Gießen, wo sie eine Zeit lang aufgewachsen ist. Die Eltern haben sie in die Waldorfschule geschickt. Aus Gießen holt sie die Koffer ihres Erbes mit Zwischenbemerkungen über ihren westfälischen Gatten und ihre beiden Söhne, die kurz vor der Barmizwa stehen, der Ältere, Aaron, ein überzeugter Jude, dem die Auserwähltheit dieser Religion durchaus behagt.
Zwischendrin gibt’s Super-8-Filmausschnitte aus der Familiengeschichte (auch Selfie von Papa mit langweiliger Blondine), Fotos und Dias. Dann geht’s zack, zack, auf den Spuren des hochgebildeten Elternhauses nach Kroatien zur Villa Bled, in der Tito sommers zu residieren pflegte. Dieser Name war bei ihren Eltern hochangesehen, denn sie verband das Partisanentum, bis der Vater eines Tages kaltgestellt wurde und nach Deutschland floh (schön der Super-8-Ausschnitt einer Flugformation, die den Namen TITO formt).
Überall trifft sie auf Zeitgenossen, Verwandte, die noch ein paar Informationen bereit halten. Es geht weiter nach Italien an den Garadsee zur 94 jährigen Schwester ihrer Mutter. Die Tante erzählt von ihrem Vater, also dem Großvater von Adriana, einem großen Zampano und sie erzählt auch, wie sie 40 Jahre ihre Schwiegermutter im Hause ertragen musste (hier wird es wirklich sehr privatistisch). Dann ein Spruch eingefügt: was ist schon eine Pubertät gegen den Holocaust, wenn ihr Sohn zu rebellieren wagt.
Es folgen Split, wo eine enorme religiöse Toleranz geherrscht habe. Allerdings verwischen die Eindrücke schnell, wenn man sich nicht so auskennt in diesen Dingen, ob der Menge und der Eile, in der sie dargeboten werden. Was war jetzt in Split, was in Zagreb, was in Vis? Der Zuschauer beginnt zu spüren, was es heißt, an einer Überdosis Vergangenheit zu leiden.
Heute will Adriana in Zagreb Restitutionsverfahren anstrengen. Denn ihre Vorfahren hatten viel verloren dort. Ein paar heftige Bemerkungen zum Grab ihres Großvaters, dem einsamen Juden, der auf dem Friedhof von lauter Christen umzingelt sei. Rab. Die Konzentrationslager.
Hat die Reise Adriana befreit, wohl kaum, aber bei der Bar Mizwa ihrer Söhne amüsiert sie sich prächtig. Und uns hat sie einen hochinteressanten Einblick in das Leben und die Geschichte eines von über 80 Millionen Einwohnern unseres Landes geboten. Das Land ist voller Geschichten. Die meisten haben mit der Geschichte zu tun. Letztlich sind es die privaten Geschichten, die den Nährboden für ein Land und seine Geschichte bilden.