Akte Grüninger (arte, Freitag, 31. Oktober 2014, 20.15 Uhr)

Ein wichtiger, kleiner Beitrag zur Aufarbeitung der Nazizeit in der Schweiz mit ihrer ambivalenten Haltung dem Dritten Reich gegenüber. Die Akte Grüninger ist kein Ruhmesblatt für die Schweiz. Der Polizeihauptmann Paul Grüninger hat gegen die Dienstvorschrift Tausenden von Flüchtlingen aus dem Nazireich mittels Aktenfälschungen die Flucht in die Schweiz ermöglicht. Dafür wurde er von korrekten, ehrenhaften Schweizern hart bestraft. 1939 wurde er unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. 1972 verstarb er verarmt in St. Gallen.

Die Schweizer sind nicht die schnellsten in der Aufarbeitung solcher Geschichten. 23 Jahre nach seinem Tod wurde Grüninger rehabilitiert. Mehr dazu unter wikipedia. Und jetzt, über 40 Jahre nach seinem Tod gibt es diesen Spielfilm (1997 brachte Richard Dindo eine Dokumentation heraus).

Und auch heute noch gehen sie mit dem Stoff merkwürdig ambivalent um. Alain Gsponer hat nach dem Buch von Bernd Lange die Regie mehr in Richtung eines Melos denn einer glasklaren Analyse geführt.

Ein bisschen wirkt der Film, wie sein Titel andeutet, wie ein sich durch die Akten fressen, nicht immer weiß man genau, wo man ist. Das Drehbuch von Bernd Lange ist nicht gerade der Hit. Es scheint keine klare Haltung zur Frage „wie erzähl ichs meinem Kinde“ gefunden zu haben, der Einstieg wirkt unentschieden, findet „irgendwann“ statt, wie Grüninger längst seine Praxis der Flüchtlingshilfe mit einem Kreis von weiteren Personen eingeführt hat. Dem Zuschauer wird also ein möglicherweise anfänglich vorhandener Loyalitätskonflikt Grüningers zwischen Vorschrift und Gewissen erspart. Grüninger ist von Anfang an der Held. Und als solchen spielt ihn Stefan Kurt auch makellos, in jeder Faser glaubwürdig und bietet ein akzeptables Äquivalent zum Original, das am Schluss in einer kurzen Filmsequenz eingeblendet wird. Wir erfahren es erklärtermaßen im Nachhinein, dass Grüninger vom Moment an, wo er wusste, was in Dachau geschieht, den Primat der Humanität vor den Primat der Regelkonformität und der Dienstvorschrift gesetzt hat. Umso mehr erscheint die Haltung des Filmes den Personen gegenüber, die sich als Grenzschließer aufmanteln, fatalistisch. Das Buch macht es, scheint mir, den Law- and-Order-Typen zu leicht, sich durchzusetzen, so leicht, dass man momentweise ihre Gebaren fast für rechtens hält. Was es formaljuristisch ja auch war.

Das Thema ist hochaktuell in Europa, in Deutschland und genauso in der Schweiz. Die zur Zeit gewaltig anschwellenden Flüchtlingsströme aus Afrika und dem Nahen Osten und Afghanistan. Thematisch hat sich im Grunde genommen nichts geändert. Die Biederbürger und Reglementierer und Ausschaffer, alles ehrenhafte Bürger, die wollen nichts wissen vom Elend und der Bedrohung in den Herkunftsländern.

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