Jack

Ein Schlüsselkindfilm, aber der Schlüssel ist nicht da. Ja, der Schlüssel zum Film ist auch gleich weg.

Was wollen uns Edward Berger und Nele Muelle-Stöfen mit ihrem Drehbuch erzählen, nach welchem Berger die Regie geführt hat? Was wollen sie uns mit der Idee erzählen, dass sie einen zehnjährigen Jungen, der noch dazu wie ein großer Held Jack heißt, tage- und nächtelang in zielbewusster Hektik völlig wirr durch Berlin jagen, weil seine Mutter den Schlüssel nicht hinterlegt hat und sie auch nicht erreichbar ist, und weil doch im Heim, indem er inzwischen untergebracht ist, die Ferien ausgebrochen sind?

Vielleicht wissen die Autoren und der Regisseur, was sie uns erzählen wollen. Aber sie können es uns offenbar nicht vermitteln. Was wollen sie uns damit erzählen, dass sie für diese Titelrolle einen Jungen gecastet haben, der so gar keine Sympathie erweckt, der immer wie unter Drohungen durch die Szenen rennt, durch Garagen, Unterführungen und nächtliche Straßen jagt, der wie fremdgesteuert Treppenhäuser hoch und runter hetzt? Vielleicht könnte der Junge ja Sympathie und Empathie erwecken. Aber warum hat der Regisseur keine Szene so inszeniert, dass das auch passiert.

Es gibt mehrfach den berühmten, dramaturgischen Alarmsatz „Was ist denn hier los?“ oder Varianten davon, der generell auf flüchtige, schlecht durchdachte Drehbucharbeit schließen lässt. Aber das kann auch nicht erklären, was uns diese Filmemacher erzählen wollen. Die Mutter scheint ein Flittchen, scheint in einem Etablissement zu arbeiten.

Warum wollten die Macher dieses Filmes, dass die Schauspieler so forciert spielen? Was wollen sie uns damit erzählen? Was will mir ein Regisseur erzählen, der seinen Protagonisten durch die Szenen hetzt, dass man den Regisseur förmlich mit der Peitsche in der Hand hinter der Kamera sich vorstellt?

Was haben sich die Treuhänder öffentlicher Rundfunkzwangsgelder, die den Film koproduziert haben, hr, Intendant Dr. Helmut Reitze und arte, was haben die sich gedacht, dass der Film dem Publikum erzählen wird? Denn die Macher haben ja keinen Realismus vom Story-Telling her beabsichtig, dazu fehlt zu deutlich der Handlungsfaden einerseits und die Charakteranalyse andererseits, die zeigt, wie Jack mit Konflikten umgehen würde. Verzicht auf zwei elementare Dinge filmischen Geschichtenerzählens.

Jack hat nie einen Konflikt. Ein Kind ohne Konflikt. Er rennt einfach drauf los. Wie Lola einsten rannte. Hier will er zwar die Mutter finden. Aber das Motiv ist auch nicht so eingeführt worden als innige Beziehung, nein, er ist eingeführt worden als ein selbständiges Kind, das ohne Mutter dem kleineren Bruder das Frühstück macht und dann in die Schule geht. Emotional kann es also dem Zuschauer vollkommen wurst sein, ob er die Mutter findet oder nicht. Außer dass sie mal im Park waren zusammen und da war auch kein inniges Verhältnis.

Warum verzichten Edward Berger und Nele Mueller-Stöfen auf solch elementare Dinge des Geschichten-Erzählens? Und falls sie uns keine Geschichte erzählen wollten, was wollten sie uns denn mit diesen Bildern berichten? Oder wollen sie einfach selber einen Film drehen, denn der Pot öffentlichen Gebührengeldes ist leicht zu knacken. Jack hat nie einen Konflikt. Er rennt immer zielbewusst. Sei es auf ein öffentliches Clo, sei es in eine Tiefgarage mit einem scheinbar vergesssenen Auto, sei es zu einem Dönerladen, zu Bekannten oder Freunden seiner Mutter, er kennt sich in Berlin aus wie ein Roboter, er hat nie einen Moment des Zweifels, nie einen Moment der Krise, weder Momente der Verzweiflung noch Momente der Freude; er tut alles wie auf Geheiß. Kann so eine Figur als zentrale Figur eines Filmes von Interesse sein? Vielleicht wenn der Film hieße: Jack fremdgesteuert. Und was würden uns die Filmemacher in diesem Falle erzählen wollen? Soll das irgendwie ein sozialpädagogisches Belehrkino werden? Es ist nicht gut, wenn Mütter ihre Kinder vernachlässigen. Mütter sollen sich um die Kinder und nicht um Männer kümmern. Aber vielleicht finden die Filmemacher ja gut, dass Jack so allein durch Berlin rennt, sonst hätten sie den Film nicht machen können. Manchmal setzt der Regisseur tragische Streicherklänge unter einer Szene; sie meinen es wohl ernst mit ihrer Nichtmessage; soll das vermitteln, dass man jetzt bittschön Mitleid mit dem unattraktiven Jungen haben soll? Ein Film lediglich aus dem Kitschmotiv „armer, kleiner Junge“?

Gegenüber diesem verklemmt, verworrenen Jack nimmt Jeunet in seiner Die Karte meiner Träume ganz unverbrämt ein Schaumbad im Kitsch des Ikonographie-Themas „10-jähriger Bub allein auf der Welt“.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers für dieses ahnungslose Kino.

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