Land der Wunder – Le Meraviglie

Hier wird deutsch, französisch, wienerisch und italienisch gesprochen und dazu von drei alten Frauen in einem wunderbaren, italienischen Landdialekt gesungen. Ein europäisches Produkt, was uns Alice Rohrwacher zeigt, die deutsche Wurzeln habe, ein italienisch-schweizer-deutsches Kinporodukt, was man auf gar keinen Fall nachsynchronisieren sollte. Denn Europa heißt auch Mehrsprachigkeit. Das ist Musik.

Aber das ist nicht das dringlichste Thema, was die Filmemacherin uns auftischen möchte. Vielmehr scheint es, als lasse sie sich inspirieren von einem verlassenen Hof, der der Hof ihrer Kindheit gewesen sein könnte, fängt an bei der Imkerei, die dort betrieben worden ist, lässt sich treiben zu europäischen Agrarthemen, dem Schaden, den Pestizide bei Bienenvölkern anrichten und dem Damoklesschwert europäischer Richtlinien für die Imkerei, über den Gast Martin, der den ganzen Film über kein Wort spricht, aber wunderbar pfeifen kann und auf diesem Hof, er ist noch Jugendlicher, resozialisiert werden soll. Er ist der einzige männliche Nachwuchs unter den vier Mädchen, die der Vater und Deutsche Wolfgang, Sam Louwyck, gezeugt hat mit Angelica, Alba Rohrwacher, der Schwester der Regisseurin.

Die älteste Tochter Gelsomina trägt viel Verantwortung. Sie spielt dies ohne Mätzchen und ohne alles Getue konzentriert und faszinierend. Und sicher werden wir Maria Alexandra Lungus Spiel mit Bienen, die sie aus dem Mund kommen lässt und die ihr über das Gesicht krabbeln nicht vergessen.

Als weiteres Topos kommt, Frau Rohwacher scheint sich ihren Vorstellungen recht intutitiv hinzugeben, eine Fernsehshow hinzu, die über das Landleben berichten möchte mit Drehlocation und absurd-geschmacklos-kitschigen Kostümen, die etruskisch sein sollen. Hier wird Interessantes und Vorbildliches aus dem Landleben gesucht. Unsere Familie meldet sich an und wird genommen. Erst aber kommt ein Abgesandter der Produktion und will den Hof unter die Lupe nehmen.

War die Inszenierung bis hierher mehr dardennesch-realistisch, so mäandert die Geschichte jetzt zu mehr dramaturgischer Künstlichkeit. Vater ist gerade in der Stadt, das mittlere Töchterchen verletzt sich mit dem Arm in der Honigzentrifuge, sie muss sofort in die Notfallklinik, derweil läuft der Honig über, weil keiner den Eimer unter den Zentrifuge ausgewechselt hat. Das hat eine riesige, klebrige Masse in der Honigküche zur Folge, so viel Honig kann es gar nicht geben und mit blossen Händen und Armen schöpft Gelsomina ihn zurück, welch Glück, dass der Show-Inspektor nur ganz, ganz leicht am Boden kleben bleibt.

Jetzt scheint die Filmemacherin vollends auf den Showzug aufzuspringen. Lang und ausführlich wird der merkwürdige Vorgang geschildert, kaum zu glauben, dass es so unterbelichtetes Fernsehen gibt. Fernsehkritik? Vielleicht. Oder sie lässt sich selber faszinieren. Denn hier fällt der Arbeitsstil von Alice Rohrwacher besonders auf. Sie scheint zuerst die Szenen zu inszenieren, grob, würde ich schätzen, und dann sucht sich die Kamera, was ihr gefällt. Wenn zwei Leute in einem Dialog sind, der als solcher vom Bild her nicht besonders ergiebig ist, dann streift die Kamera umher über Höhlenwände, Lichterketten, findet Farbeffekte auf dem Wasser oder an Mauern. Dadurch haben die Akteure offenbar auch nicht dieses gestresste Gefühl, ganz genau im Mittelpunkt stehen zu müssen und den entsprechenden Leistungsdruck aufzubauen. So besehen mag die Bilderwelt von Frau Rohwacher durchaus zu vereinnahmen.

Das schönste, poetischste Bild im Film; wenn Gelsomina dem kleineren Schwesterchen rät, den Sonnenstrahl, der in den staubigen Stall einfällt, zu trinken. Unbändige weibliche Kinointuition. Oder dann bläst plötzlich der Wind. Die Deckel der Bienenkästen werden abgehoben. Wolfgang legt sich mit dem gesamten Körpergewicht darüber. Steine müssen beschafft werden und am Schluss liegen er und die Kinder unter einer Plane auf den Kästen. Solche und andere Einfälle geben zu verstehen, dass es sich hier um einen sehr persönlichen Film handelt, man hat kaum den Eindruck, dass die Filmemacherin sich außenorientiert, dass sie andere Filmer imitiert. Und dann wieder eine quietschfröhliche Bottich-Bade-Szene auf dem Meer. Ein Kino, was von Spiel und Spontaneität lebt.

Die Geschichte mäandert nicht, es scheint viel eher, als haue sie die Faszination am Trivial-Fernsehen aus der Kurve.

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